Ich will nur dein Glück: Roman (German Edition)
zuckte zusammen. »Naja … ja.«
Nash schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, wirkte er in Gedanken versunken. »Sind wir aber nicht.«
Das war also der Grund für seine Wut und Verbitterung. Er konnte damals allerhöchstens sechzehn gewesen sein. Er hatte Vater und Mutter verloren, sein ältester Bruder war untergetaucht, und dann hatte ihm der Staat auch noch Dare weggenommen. Unter diesen Umständen konnte man ihm seinen Groll wohl nicht verdenken.
»Was ist passiert?«, murmelte Kelly.
»Richard Kane, der damals Bezirksstaatsanwalt war, hat mir gesagt, dass Ethan abgehauen war und dass Dare und ich zu Pflegeeltern kommen würden. Er versprach, sich dafür einzusetzen, dass wir zusammenbleiben konnten. Wir haben ein paar Nächte lang bei Freunden geschlafen, und dann kam Richard eines Tages und eröffnete uns, er könne keine Familie finden, die uns beide nehmen würde.«
»Warum konnten deine Pflegeeltern denn nicht euch beide zu sich nehmen? Geld genug hatten sie ja ganz offenbar.«
Nash zuckte die Achseln. »Das ist mir bis heute schleierhaft. Richard sagte, sie hätten ihre Gründe, aber er betonte immer, sie hätten trotzdem das Herz am rechten Fleck. Sie hatten ein Jahr zuvor ihren einzigen Sohn verloren.«
Kelly schüttelte den Kopf, überwältigt von all dem Leid, mit dem Nash in seiner Jugend konfrontiert gewesen war. »Kanntest du den Jungen?«
Nash drapierte einen Arm über das Lenkrad und schüttelte den Kopf. »Nein, er ging auf eine Privatschule. Dafür kennt jeder in der Stadt die Geschichte. An dem Tag, an dem er starb, wurde die Schule wegen eines Stromausfalls geschlossen, und einer der Jungs nahm ein paar Kumpels mit zu sich nach Hause, weil er sturmfreie Bude hatte. Sie ließen sich volllaufen, und dann führte eins zum anderen. Es gab eine Schlägerei, bei der Stuart Rossman einen Kinnhaken abbekam, mit dem Kopf auf den Boden knallte und sich nicht mehr rührte. Ein paar der Jungs flüchteten panisch, und die anderen räumten erst die Flaschen weg, ehe sie ihn einfach vor dem Krankenhaus deponierten.«
»Das ist ja furchtbar!«
Er nickte. »Und ein Schock für die ganze Stadt. Ich glaube, die Rossmans haben sich für mich entschieden, weil ich in Stuarts Alter war, aber sie wollten kein zweites Kind. Als ich älter wurde, habe ich versucht, den Grund dafür herauszufinden, aber sie haben mir nie einen genannt. Es war höchst seltsam, denn abgesehen davon standen wir uns im Laufe der Jahre sehr nahe und konnten über alles reden.«
Kelly fehlten die Worte, und sie wusste nicht so recht, was sie empfand. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, dass es Nash damals ähnlich ergangen sein musste. »Das war bestimmt ein furchtbarer Zwiespalt für dich«, flüsterte sie. »Auf der einen Seite Dankbarkeit, auf der anderen Seite Schuldgefühle, weil dein kleiner Bruder hier hausen musste … «
Er sah ihr in die Augen. »Du hättest Psychotherapeutin werden sollen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe bloß versucht, mich in dich hineinzuversetzen, das ist alles.«
»Ich hatte Angst, dass Dare mich hassen würde. Ich bin ein paarmal ausgebüxt, in der Hoffnung, die Rossmans umstimmen zu können, aber die Polizei hat mich jedes Mal aufgegriffen und zurückgebracht. Irgendwann habe ich mich dann damit abgefunden. Es blieb mir ja auch gar nichts anderes übrig. Richard hat damals eine wichtige Rolle gespielt. Er hat mir zugeredet und mir immer wieder versichert, Florence und Samuel seien zwei herzensgute Menschen, aber es ginge eben nicht anders. Ich verstehe bis heute nicht, warum, aber ich habe es irgendwann akzeptiert und das Beste daraus gemacht.«
Kellys Magen zog sich schmerzhaft zusammen. »Wie hast du das alles durchgestanden?«
»Ehrlich gesagt hat Dare es mir leicht gemacht. Er hat mich nie um meine Pflegeeltern beneidet. Er war mit seinen fünfzehn Jahren ein gutes Stück reifer als ich. Ich habe mich um ihn gekümmert, so gut es ging, habe ihm Essen gebracht, und Kleider von mir, die noch nicht allzu abgetragen waren.«
Kelly empfand tiefes Mitgefühl – für den Teenager, der er damals gewesen war, wie für den Mann, zu dem er sich entwickelt hatte und der ganz offensichtlich noch immer so viel Schmerz in sich trug.
»Du hast ein gutes Herz«, versicherte sie ihm, weil sie spürte, dass er das jetzt brauchte.
»Wenn es so wäre, hätte ich dafür gesorgt, dass er es genauso gut hat wie ich.«
»Du hast damals doch alles in deiner Macht Stehende getan, damit es
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