Ich will nur dein Glück: Roman (German Edition)
gemeinsam«, begann Nash, um eine elegante Einleitung bemüht.
»Inwiefern?«
Er dachte an das raubeinige Auftreten der Kleinen, als sie vor ein paar Monaten bei Ethan auf der Matte gestanden hatte. »Nun, er war ebenfalls ein jugendlicher Straftäter. Er trank, er hatte die falschen Freunde, blieb die ganze Nacht weg und trieb meine Eltern in den Wahnsinn.«
Kelly blinzelte sichtlich überrascht. »Ethan? Aber der wirkt, als könnte er kein Wässerchen trüben!«
»Genau das ärgert mich ja so! Jeder betrachtet ihn als eine Art Heiligen, aber ich habe es verdammt noch mal höchstpersönlich miterlebt«, presste er mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Nicht aufregen.« Kelly legte ihm eine Hand auf die Wange. »Also, erzähl«, ermutigte sie ihn sanft.
Er atmete einmal tief durch. »Dare und ich waren beileibe keine Engel … «
»Aber?«
Nash schluckte. »Aber Ethan war ein richtiger Tunichtgut. Als er eines Abends mal wieder nicht nach Hause kam, dachten sich meine Eltern erst nichts dabei, weil sie das schon gewohnt waren. Doch dann klingelte um drei Uhr morgens das Telefon. Man hatte Ethan verhaftet, weil er ein Auto gestohlen hatte, um damit eine kleine Spritztour zu machen. Meine Eltern fuhren auf die Wache, um eine Kaution für ihn zu hinterlegen, und auf dem Weg dorthin wurden sie von einem betrunkenen Autofahrer getötet.«
Kelly schnappte entsetzt nach Luft. »Das tut mir schrecklich leid.« Sie rutschte näher, bis sie nur noch die Mittelkonsole trennte.
»Das war noch nicht alles.«
»Erzähl weiter.«
»Der Richter war recht verständnisvoll und gewährte Ethan eine zweite Chance, doch statt zu mir und Dare nach Hause zu kommen, hat er sich einfach aus dem Staub gemacht und zehn Jahre lang nichts von sich hören lassen.« Nash bemerkte, dass er vor Wut zitterte, wie immer, wenn er es sich gestattete, zurückzudenken und seine Gefühle zuzulassen.
»Wo war er denn all die Jahre?«
»Was macht das für einen Unterschied?«
»Vermutlich keinen.« Kelly legte eine Hand auf seine geballte Faust und beschloss, es vorerst dabei zu belassen.
Allerdings war sie der Auffassung, dass sich Nash durchaus dafür interessieren sollte, wohin sein Bruder verschwunden war und warum, wenn er je seinen Schmerz und seine Wut hinter sich lassen wollte. Und sie verspürte das Bedürfnis, Nash bei der Bewältigung seiner Vergangenheit behilflich zu sein. Puh. Sie steckte ganz schön in Schwierigkeiten.
Aber eins nach dem anderen. »Was wurde aus dir und Dare?«
»Wir kamen zu Pflegeeltern.« Er wandte sich ohne Vorwarnung ab, ließ den Motor an und drückte aufs Gas.
Kelly musste nicht erst fragen, wohin ihre Tour sie als Nächstes führen würde. Sie schwieg, dankbar für diesen Einblick in sein Gefühlsleben und seine Bereitschaft, sich ihr zu öffnen. Wenn sie jetzt das Falsche sagte, überlegte er es sich womöglich anders und zog sich wieder in sein Schneckenhaus zurück.
Zu ihrer Überraschung hielten sie wenig später vor einem Herrenhaus, das fast so aussah wie die Villa, in der Ethan und Faith lebten, und auch nicht allzu weit entfernt davon war.
»Hier habe ich nach dem Tod meiner Eltern gewohnt«, sagte er.
Kelly pfiff anerkennend. »Nicht übel.«
Er nickte. »Möchte man meinen, ja.« Diesmal blieben sie nicht lange stehen, sondern fuhren gleich weiter.
Ihr Weg führte sie erneut quer durch die Stadt, bis sie im schäbigsten Viertel von Serendipity angekommen waren. Hier deutete nichts auf irgendwelche glücklichen Zufälle hin, wie sie der Name der Stadt verhieß. Kaum eine der Straßenlaternen funktionierte, die Häuser waren mit Graffitis besprüht, und auf den Bürgersteigen der dunklen Straßen hatten sich allenthalben Jugendliche in Lederjacken zusammengerottet.
Kelly schauderte.
Und wartete ab.
Nash fuhr weiter, bis sie in einer heruntergekommenen Wohnsiedlung angelangt waren. Die Häuser wirkten baufällig, da und dort brannte in einem Windfang Licht und schien auf ein zerbrochenes Fenster oder ein zersplittertes Holzgeländer. Sie hielten vor einem Haus, das beides aufwies. Das Fenster hatte jemand mit breitem braunem Klebeband notdürftig zusammengeflickt. Die Veranda war mit kreuzweise gespanntem gelbem Plastikband abgesperrt, damit niemand sie betrat.
»Und wo sind wir jetzt?«
»Hier ist Dare aufgewachsen.«
»Moment mal. Als du gesagt hast, ihr wärt zu Pflegeeltern gekommen, dachte ich … «
»Du hast gedacht, wir wären zusammengeblieben.« Nash lachte rau.
Kelly
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