Ich will vergelten: Thriller (German Edition)
getroffen hatte. Daniels hatte einige Lügner kennengelernt und, entgegen der verbreiteten Annahme, festgestellt, dass die meisten nicht besonders gut waren. Die meisten verrieten sich, weil sie zu clever sein wollten. Harris war sehr vorsichtig gewesen und hatte nur gesagt, dass er dachte, er könnte Rachels Vater sein, nicht, dass er es tatsächlich sei. Wenn Laura Somers leugnete, etwas mit ihm gehabt zu haben, dann stand ihr Wort gegen seines. Nur ein DNA -Test konnte die Vaterschaft beweisen oder ausschließen.
Alec Walton saß untätig auf der anderen Seite des Tisches. Er hatte seinen Mandanten für sich selbst sprechen lassen und zugelassen, dass er Daniels’ Fragen ohne Einmischung beantwortete. Sie wusste das zu schätzen. Ihr Blick wanderte von dem Anwalt zu Mark Harris. Er zeigte jetzt keinerlei Anzeichen von Stress, und das überraschte sie. Selbst wenn er völlig unschuldig war, hätte sie doch etwas bei ihm erwartet, vor allem angesichts der Anklage, mit der er sich konfrontiert sah. Andererseits verstieß es schließlich nicht gegen das Gesetz, in sozialen Netzwerken falsche Altersangaben zu machen. Bis sie ihm etwas anderes beweisen konnte, war das das Einzige, wozu er sich bisher bekannt hatte.
»Haben Sie Rachel auf der Fahrt in irgendeiner Weise berührt?«, fragte Gormley.
Das war eine gute Frage. Eine, die Daniels im rechten Moment selbst gestellt hätte. Harris schwieg. Er schien aus dem Konzept geraten zu sein, unsicher, was er sagen sollte. Daniels fragte sich, ob er Zeit schinden wollte oder ob er einfach nur versuchte herauszufinden, was Gormley mit dem Wort »berührt« unterstellte.
»Mr Harris?« Daniels wartete.
Der Verdächtige sah sie nur an, dann glitt sein Blick kurz zu seinem Anwalt hinüber.
Das Geräusch von Gormleys Stift, der auf die Tischplatte trommelte, war Beweis für seine wachsende Ungeduld. Daniels verstand seine Frustration. Sie wollte, dass er etwas Selbstbeherrschung übte. Dass er sich beruhigte. Sich Zeit nahm. Diese Frage war sehr wichtig. Wenn Harris jetzt log, dann könnte seine Antwort entscheidend werden; besonders wenn – Gott bewahre! – Rachel später tot aufgefunden werden sollte, und überall gab es DNA -Spuren von ihm. Eine beweisbare Lüge würde dann vor Gericht den Rest seiner Aussage in Zweifel ziehen, selbst wenn seine Verteidiger das Argument vorbringen würden, dass seine DNA schließlich überall in der Fahrerkabine seines Lastwagens war.
Daniels hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken, und fuhr fort. »Beantworten Sie die Frage, Mr Harris. Haben Sie Rachel irgendwann berührt oder nicht, als Sie mit ihr zusammen waren?«
Harris schüttelte den Kopf.
»Sind Sie sich da absolut sicher?« Gormley übte Druck aus. »Sie haben ihr nicht die Hand geschüttelt, als Sie sich in dem Straßencafé getroffen haben? Haben ihr nicht in die Kabine geholfen oder Ähnliches?«
»Nein! Ich schwör’s! Ich hab sie nicht angefasst, kein einziges Mal!«
»Eine letzte Frage, Mr Harris …« Daniels zögerte, brachte ihn ins Schwitzen. »Was hatte Rachel an, als Sie sie zum letzten Mal gesehen haben?«
»Jeans und eine graue Jacke – das ist alles, woran ich mich erinnere.«
Daniels musste eine Entscheidung treffen. Und jetzt war es an der Zeit.
»Danke. Sie können gehen.«
Alle drei Männer machten ein verdutztes Gesicht.
40
Bevor sie den Vernehmungsraum verließen, hatte Harris förmlich darum gebettelt, in Haft zu bleiben. Jetzt ging Daniels mit Gormley im Schlepptau den Flur entlang, während ihr die Worte des Verdächtigen noch in den Ohren klangen: »Ich gehe nirgendwohin, nicht bevor Sie die Sache aufgeklärt haben. Ich will auf keinen Fall, dass die Polizei bei meiner Mutter an die Tür klopft. Sie ist eine gebrechliche Fünfundsiebzigjährige mit Demenz. Die Verwirrung wird sie wahrscheinlich umbringen. Ich muss das wissen – ich pflege sie schließlich!«
Das war also sein anderer Job.
Daniels zog ihren Ausweis durch, um in die Einsatzzentrale zu kommen. Sie hatte Harris ganz klar gesagt, dass sie ihn zwar nicht länger in Haft behalten würde, dass er aber im Aufnahmebereich warten konnte, bis sie seine Version des Hergangs überprüft hatten, wenn er darauf bestand. Sie nahm an, dass er jetzt dort war.
»Weißt du, was du gerade getan hast?« Gormley war außer Atem, als er sie einholte. »Oder bin ich während der Vernehmung eingeschlafen? Wir haben ihn auf frischer Tat ertappt, Boss.«
Er rannte sie beinahe um, als sie
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