Ich will vergelten: Thriller (German Edition)
Es war ein altes Poster, das Daniels in einem unbenutzten Büro gefunden hatte. Es hatte ihr gefallen, und sie hatte es für die Nachwelt aufbewahrt.
Naylors Lächeln verschwand. »Du schlägst doch wohl nicht vor, Carmichael als Köder zu benutzen?«
»Ich weise darauf hin, dass sie Eigenschaften besitzt, die wir für die Festnahme eines Schwerverbrechers oder mehrerer nutzen könnten. Dafür hat sie sich uns angeschlossen, ein Privileg, für das sie am Vorletzten jedes Monats gut bezahlt wird, wie wir auch.«
Das war ein brutal ehrlicher Satz. Daniels’ neuer Chef war zu erfahren, um sich irreführen zu lassen, außerdem hatte sie zu viel Respekt vor diesem Mann, um ihn anzulügen. Als sie sich eingeschrieben hatten, vor all den Jahren, wurde erwartet, dass man bereit war, für das richtige Ergebnis Leben und Gesundheit zu riskieren. Lisa Carmichael sah das ebenso. Daniels wusste es. Jetzt musste sie nur noch ihren neuen Boss davon überzeugen.
»Versteh mich nicht falsch«, sagte Naylor. »Ich lehne es nicht ab. Es ist nur so, dass ich Carmichael nicht besonders gut kenne. Und wenn ich ihre Personalakte richtig im Kopf habe, ist sie noch nicht lange dabei. Ich muss zugeben, dass mich das ein wenig beunruhigt. Meinst du, sie ist schon bereit für diese Art Belastung?«
»Bereit und versessen darauf anzufangen.« Daniels nahm das interne Telefon und wählte Carmichaels Anschluss. »Haben Sie mal eine Minute, Lisa? Detective Superintendent Naylor würde gern mit Ihnen sprechen.«
»Kein Problem. Soll ich irgendwas mitbringen?«
»Nur sich selbst.« Daniels wollte schon auflegen. »Moment noch! Bringen Sie die Fotos von Amy und Jessica mit.«
Es gab eine kurze Pause. Jemand anderes versuchte, Carmichaels Aufmerksamkeit zu erregen. Daniels sah über Naylors Schulter durch das Glasfenster in ihrer Bürotür. Robson sprach mit Carmichael, und Daniels erhaschte einen kurzen Blick auf Jo Soulsby, die die Einsatzzentrale betrat.
»Boss?« Carmichael war wieder am Apparat. »Robbo möchte Sie wissen lassen, dass Fiona Fielding in der Anmeldung ist und darauf wartet, mit Ihnen zu sprechen. Anscheinend hat sie nicht viel Zeit. Sie muss schon wieder einen Flug erwischen.«
»Sagen Sie ihr, ich komme sofort runter.« Daniels legte auf. »Kannst du ohne mich weitermachen, Ron? Ich werde unten gebraucht.«
44
Daniels spähte durch das Glasfenster in den Doppeltüren, die zur Anmeldung führten. Sie war froh über die Aussicht, wieder mit Ron Naylor arbeiten zu können, und überzeugt davon, dass er gerade rechtzeitig gekommen war, um neuen Schwung in die Mordkommission zu bringen. Die Moral war ein wenig gesunken, und das konnte sie sich nicht leisten.
Fiona Fielding saß auf einer harten Holzbank nah am Eingang und hatte ihre Nase in ein Taschenbuch vergraben. Sie war eher attraktiv als hübsch, ihr Outfit, elegant, aber sportlich, bestand aus engen Jeans, Stöckelschuhen und einer braunen Lederjacke über einer cremefarbenen Bluse. Eine Handtasche, mehr wert als das Monatseinkommen eines durchschnittlichen Polizisten, lag neben ihren Füßen.
Daniels stellte sich vor und entschuldigte sich, sie warten gelassen zu haben. »Ich weiß es zu schätzen, dass Sie sich die Zeit nehmen, mich zu treffen. Ich werde versuchen, Sie nicht lange aufzuhalten.« Sie führte Fielding zurück durch die Doppeltüren und einen tristen Flur entlang in den IR 2, den einzigen Vernehmungsraum, der gerade nicht genutzt wurde. Erst als sie die Tür öffnete, bemerkte sie, warum – er war soeben frisch gestrichen worden und roch noch nach Chemikalien. »Tut mir leid.« Sie trat wieder hinaus. »Wir gehen woanders hin.«
»Farbgeruch stört mich nicht, Chief Inspector. Und Sie entschuldigen sich zu viel.« Fieldings Stimme war tief und sexy, wie Mariella Frostrup mit einer Halsentzündung. Sie ging an Daniels vorbei, stellte ihre Tasche auf den Boden und setzte sich einfach hin, wobei sie ein wohlgeformtes Bein über das andere schlug. »Ich habe gehört, dass Jess Finch verschwunden ist. Ich nehme an, sie ist noch nicht wieder aufgetaucht?«
Daniels schüttelte den Kopf und schloss die Tür. »Ihr Vater ist außer sich.«
»Ach ja? Unerträglicher Kerl. Es überrascht mich nicht, dass sie abgehauen ist.«
Daniels mochte normalerweise Menschen, die sagten, was sie dachten, aber sie war sich nicht sicher, ob ihr die Künstlerin sympathisch war oder nicht. Brutal ehrlich zu sein war schön und gut, aber angesichts der Umstände war ihr
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