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Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.

Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.

Titel: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Klemperer , Hadwig Klemperer , Walter Nowojski
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Verwundeten und Sterbenden. Die Sanitäter klagten, sie könnten niemandem helfen. Der kräftige Waldmann fühlte sich derart durstgequält, daß er buchstäblich verfiel. Er schlief ein, fuhr elend auf, er habe von Trinken geträumt. Neue Sanitäter kamen. Einer setzte Waldmann die Flasche an den Mund. Ein andrer, offenbar schon Arzt, stand ein Weilchen vor dem Röchelnden. »Die Lunge?« fragte ich. – Gleichgültige Antwort: Ödem. Eine Weile später hörte das Röcheln auf, ein bißchen Schaum trat vor den Mund. Aber der Mann bewegte das Gesicht noch lange, ehe er still lag. Später schaffte man den Leichnam hinaus. Auf dem Hof sollten viele Tote liegen. Ich habe sie nicht gesehen, ich habe dort oben nur (wie x andere auch) mein Geschäft verrichtet. Irgendwann gingen die Lampen aus, man saß im Dunkeln, sogleich wurde gejammert: Sie sind wieder da, und tatsächlich hörte man das Summen in der Luft, und tatsächlich waren die Flieger auch wieder da. Kerzen wurden angezündet, und jemand rief, es seien gar keine Flieger da, man müßte nur mit der Handmaschine neuen Strom für die Beleuchtung und den Ventilator schaffen. Das große Rad wurde gedreht, und es sah phantastisch aus, wie die übergroßen Schatten der Arbeitenden an der Wand auf- und niederfuhren. Nach ein paar Minuten gingen die Lampen allmählich wieder an, und die Entlüftungsmaschine begann zu singen. Ein paar Stunden später wiederholte sich die Szene …
    Eva schlief fest, ich ging herum, schlief wieder, wanderte wieder, war ohne Gedanken und ohne Zeitgefühl, aber doch etwas entlasteter als die Nacht zuvor. Immer wieder wurden Verletzte hereingetragen oder von einem Raum in den andern verlegt, immer wieder kamen neue Sanitäter, auch neue Zivilisten. Ein Mädchen erzählte mir, sie habe im Trompeterschlößchen Dienst getan, das einen besonders guten Keller hatte. Beim ersten Angriffsei das Zentraltheater und ein nahes Hotel getroffen worden, die dort befindlichen Leute hätten den Trompeterkeller aufgesucht, sie hätten sich dort unten Wein geben lassen. Dann habe auch das Schlößchen gebrannt, es sei im Keller furchtbar heiß geworden. Sie, die Kellnerin, ein Koch und noch zwei Angestellte hätten die Ventilatormaschine mit der Hand bedient, hätten feuchte Tücher vorm Mund getragen und wären noch ins Freie gekommen; alle andern aber seien zusammengebrochen, die Geretteten seien über ganze Leichenhaufen geklettert. Sehr spät in der Nacht oder schon gegen Morgen kam Witkowsky aufgeregt zu mir: »Wir werden alle herausgeschafft, nach Meißen, nach Klotzsche, die zuerst herauskommen, sollen es am besten haben, kommen Sie gleich mit uns, es geht nach Klotzsche.« Ich weckte Eva, sie war einverstanden, es dauerte aber eine Weile, ehe sie fertig war. Da hieß es, der Wagen sei voll, es würden aber in kurzen Abständen weitere folgen. Wir blieben draußen auf der Bank vor dem Keller – drin war heiße dicke Luft. Wir hörten die Geschichte eines jungen Menschen, der mit seinem Amt von Czenstochau hierhin geschafft worden war, und nun war hier seine Amtsstelle mit dem Rest seiner Habe untergegangen. Wir saßen lange, es dämmerte. Dann stand wieder ein Wagen bereit, man schaffte mehrere Kranke auf Bahren hinein, preßte dann uns Gesunde dazwischen und in den Hintergrund. Eine holprige Fahrt an Ruinen und Bränden vorüber. Genaues konnte ich von meinem Sitz aus nicht sehen, aber jenseits des Albertplatzes hörte die restlose Zerstörung auf. Ziemlich früh am Morgen des Donnerstag waren wir dann im Fliegerhorst.
Klotzsche
15. Februar, Donnerstag morgen – 17. Februar, Sonnabend abend
    Die erste Wonne war der Riesenkessel Nudelsuppe im Schlafsaal. Ich nahm ruhig den Löffel eines alten Mannes, der vor mir gegessen hatte. Ich aß drei tiefe Teller. Dann gingen wir auf Suche nach unseren Leuten und fanden sie rasch in einem ganz ähnlichen Saal eines ganz ähnlichen anderen Hauses.
    Am Nachmittag ging ich ins Lazarett. Mir waren schon in Dresden die übervielen Augenbeschädigungen aufgefallen. Hier hatte man eine besondere Augenstation eingerichtet. Ich kam bald heran, der junge Arzt war sehr liebenswürdig, fragte nach meinem Beruf und wurde noch liebenswürdiger und aufmerksamer. Befund: Nach oberflächlicher Untersuchung (und zu mehr fehle es hier an allem) befinde sich die Blutung unter der Bindehaut und sei harmlos; aber ein Riß in der Netzhaut sei doch nicht ausgeschlossen, ich müßte noch einen Facharzt aufsuchen. Wie eilig hätte ich

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