Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933 - 1945.
Zucker (soweit er nicht am Boden in den Teppich getreten knirscht – ja, auch mein Brombeer-Rauchtee liegt da unten) – sodann, was wir noch an kümmerlichen Vorräten an Soßenpulver besaßen – dagegen blieben ein paar Eier verschont – dagegen ging fermentierter Brombeertee mit. Mein Schreibpapier ließ man teils hier, teils fand man es nicht, d’altra parte sind verschwunden alle Kuverts, alle meine Visitenkarten, von denen ich noch hundert besaß – ohne Titel, Privatdozent – Professor – Professor und Frau. Evas Visitenkarten lagen im Schlafzimmer. Dort suchte ein anderer, der hat sie auf den Boden gestreut. Die Flasche Schaumwein, von Frau Schaps 34 zur Hauseinweihung gestiftet, von uns für den Tag der Erlösung aufbewahrt, ging mit. Mein Verdienstkreuz fehlt, einige ausländische Münzen (ein Gulden z. B.) fehlen. Von meinen Büchern scheint keines zu fehlen, obwohl doch Lexika beliebt sein sollen. Meine Manuskripte waren kaum aus ihren Hüllen, nur die Kriegsbriefe durcheinandergeraten.Ein paar Bücher waren aus dem Regal genommen, lagen auf dem Schreibtisch. Aber das griechische Lexikon mit den letzten Tagebuchseiten war unangetastet, Evas Notenschrank mit einigen Manuskripten von mir und mit großem Papierpaket unberührt. Das Tagebuchmanuskript hätte mich fraglos das Leben gekostet. Offen auf Evas Notenschrank lag ein Heft Mendelssohn. Da ist das Titelblatt der Länge nach durchgerissen. – Außer dem Brombeertee, dem Zucker, den Zigarettenhülsen liegt auf und im Teppich eine Unmenge kleiner Stückchen Markenpapier; ich sammelte diese Klebstreifen immer in einer Zigarrenkiste und benutzte sie zum Anfügen von Anmerkungen und Korrekturen an das Druckmanuskript. Ein Glück, daß unser Staubsauger repariert und in Ordnung ist. – So sind wir alles in allem für diesmal noch leidlich davongekommen und haben uns wieder gegenseitig zugeschworen, die Nerven zu behalten. Aber welch eine unausdenkbare Schmach für Deutschland.
24. Mai, Sonntag, Pfingsten Abends
Ernst Kreidl ist »bei einem Fluchtversuch erschossen« worden, um 14.55 Uhr, also am hellen Tage. Eva sah oben bei Elsa Kreidl das vorgedruckte Formular mit Maschinenschrift ausgefüllt. »Einäscherung im Krematorium Weimar-Buchenwald«, die Urne steht zur Verfügung. Schamloser kann man nicht lügen. Der Mann hat an die absolut unmögliche Flucht bestimmt mit keinem Hauch gedacht. 63 Jahre, geschwächt, Anstaltskleidung, ohne Geld … Und am hellen Tage … Unverhüllter Mord. Einer von Abertausenden.
27. Mai, Mittwoch mittag
Heute nachmittag fährt Eva nach Pirna etwas Geld holen. Ich gebe ihr die Tagebuchblätter der letzten Wochen mit. Ich fand nach der Haussuchung einige Bücher aus dem Regal genommen auf dem Schreibtisch: Wäre das griechische Lexikon darunter gewesen, wären die darin liegenden Manuskriptblätter herausgefallenund hätten dadurch Verdacht erregt, so war das fraglos mein Tod. Man wird um geringerer Verfehlungen willen gemordet. – Ein Notizzettel auf dem Schreibtisch enthielt die Chiffre KDF. Nicht »Kraft durch Freude«, sondern »Kunst der Fingerfertigkeit«. In diesem Notenband liegen weitere Tagebuchblätter. – Diese Teile also gehen heute fort. Aber ich schreibe weiter. Das ist mein Heldentum. Ich will Zeugnis ablegen, und exaktes Zeugnis!
29. Mai, Freitag vormittag
Nach dem Tee zu Haus war ich beim »Kartoffeln«, als ich ein sehr großes und sehr elegantes Auto vor dem Haus stehen sah. Sofort in Angst. Etwa eine Stunde später Sturmklingeln bei uns. Ich öffnete und erhielt sofort eine klatschende Ohrfeige, weil ich zu spät geöffnet hätte. Zwei junge Leute. Es war, genau wie Eva neulich gesagt, eine Bühnenohrfeige, und ebenso war nachher auf der Treppe der Fußtritt in den Hintern nur skizziert, aber mein Herz setzte aus, ich litt an schwerer Atemnot und Schmerzen, ich hatte wieder das Gefühl, dem Tod nahe zu sein. Ich sah, wie der eine der beiden Kerle nach Eva im Wohnzimmer spuckte, wie sie ganz ruhig blieb. »Wir brauchen einen kleinen Koffer.« – »Im Keller – ich gehe mit Ihnen hinunter.« Eva sagte, sie werde es tun. Ich wollte ihr das ersparen, aber unten fiel mir ein, daß sie in einem unserer Koffer Sachen verwahrt habe und ich wußte nicht, in welchem. Also mußte ich sie doch herunterrufen. Nach einiger Zeit kam sie mit einem kleinen Korbkoffer wieder, der Mann unten habe ihr nichts weiter angetan. Die Bestien verschwanden, wir waren nur gestreift worden. Außer dem Koffer hatten sie
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