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Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Titel: Ich wuenschte, ich koennte dich hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Christopher
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Im unteren Fach lagen eine Gitarre ohne Saiten und ein schlaffer Fußball. Als ich die Sachen wegschob, huschte etwas Schwarzes auf Beinen weg und verschwand in der Dunkelheit ganz hinten. Eine dünne Spinnwebe hing in der Schrankecke. Ich suchte nicht weiter.
    Im mittleren Schrankfach stand eine verdreckte Nähmaschine, die älter aussah als ich. Ich drehte das Rad an der Seite und sah zu, wie sich die Nadel langsam hob und senkte. Ich sehnte mich danach, eine Art magische Landkarte nähen zu können, die mir verraten würde, wie ich nach Hause kam. Ich presste meinen Finger gegen die Nadelspitze. Sie war rostig, aber trotzdem noch scharf, was mich überraschte, weil sie so alt aussah. Ich bog die Nadel hin und her, bis sie abbrach. Ich führte sie über meine Handfläche und verfolgte meine Lebenslinie. In der Mitte meiner Hand hielt ich inne und fragte mich: Wäre ich im Stande, mir die Nadel reinzurammen? Wie weh würde das wohl tun? Wie viel Schaden konnte dieses Teil anrichten?
    Ich hörte, wie die Küchentür mit einem Knall ins Schloss fiel und wie du durchs Haus stürmtest. Ich schloss die Hand über der Nadel und schob sie in die Tasche meiner Shorts, dann machte ich schnell die Schranktür zu und ging zurück zum Bücherregal. Ich zog Huckleberry Finns Abenteuer heraus und wartete. Du kamst ins Zimmer. In der letzten Zeit hattest du aufgehört mich zu fragen, was ich den ganzen Tag über tat; auch an diesem Tag wolltest du es nicht wissen. Du sahst mich nur kurz an, bevor du hektisch wie ein Käfigtier auf und ab gingst. Du recktest deine einbandagierten Hände in die Luft, als wolltest du irgendeinen Gott beschwören.
    »Mit diesen Händen kann ich überhaupt nichts machen«, sagtest du barsch. »Willst du spazieren gehen oder so?«
    Ich nickte und dachte an das Bergwerk. Die Nadel hatte ich bei mir.
     
     
    Du hast einen Korb mitgenommen. Es war ein alter Supermarkt-Einkaufskorb aus rotem Plastik, an der Seite war noch schwach der Schriftzug Eigentum der Coles-Kette zu erkennen. Du hast ihn beim Gehen hin und her geschwenkt. Auf dem Weg durch den Pferch sagtest du dem Kamel Hallo. Im Schatten der Felsen angekommen, bliebst du stehen und sahst dir die Vegetation ganz genau an. Du berührtest die Blätter einer kleinen, buschigen Pflanze, die ein bisschen wie Spinifex aussah. Ich dachte an das Pflanzenbuch und fragte mich, ob ihre gleichförmigen graugrünen Blätter mir wohl irgendeinen Anhaltspunkt geben könnten. Ich fragte dich, was das war.
    »Salzmelde«, sagtest du. »Wächst überall.«
    »Schade.« Ich berührte die rautenförmigen Blätter. »Ich hab gedacht, es wäre was Außergewöhnliches, besonders selten oder so.«
    »Sie ist auch außergewöhnlich.« Du sahst mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Man könnte über diesen Busch ganze Bücher füllen – schmeckt lecker, wenn du ihn auf die richtige Art kochst, hilft gegen Schwellungen und Zahnweh und ist gut für die Verdauung …« Du hast über die dünnen, schuppigen Blätter gestrichen und ein paar schlanke Zweige in deinen Korb gelegt. »Gibt sonst kaum Pflanzen, die mit dem Salz hier in der Erde nicht nur klarkommen, sondern es sogar mögen«, fügtest du hinzu. »Das macht sie ziemlich nützlich.«
    »Wofür nimmst du sie jetzt mit?« Ich ließ meinen Finger über die Blätter gleiten.
    »Dafür!« Du strecktest deine bandagierten Hände hoch. »Außerdem hab ich gedacht, wir könnten heute Abend Salzmelde essen.«
    Ich versuchte die Blätter abzureißen, aber sie zerbröselten mir in der Hand. »Sieht nicht gerade appetitlich aus, eher tot.«
    »Hörst du das, Salzmelde?« Du hast mit der Pflanze gesprochen, nicht mit mir. »Du bist tot. Tot wie Straßenpflaster. Los, mach schon, wach auf!« Du stelltest dich direkt vor mich und lachtest mich an. »Hier draußen hat es manchmal den Anschein, als wäre etwas tot, Gem. Das ist eine Überlebensstrategie. Unter der Oberfläche sind die Wüstenpflanzen quicklebendig. Sie wachsen zum größten Teil unter der Erde.« Du nahmst mir die zerkrümelten Blätter aus der Hand und berührtest sie mit der Zunge. »Das ist ein bisschen so wie in der Stadt … alles sieht tot aus, aber hinter den Mauern wimmelt es. Guck dir mal die hier an.« Du hieltst inne und zeigtest auf eine Wurzel, die in einer Felsspalte wuchs. »Sieht nach nichts aus, oder?«
    »Tot wie alles hier.«
    »Aber sie schläft nur und ist jederzeit bereit, zum Leben zu erwachen.« Du strichst mit dem Finger an ihr entlang.

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