Ich wuenschte, ich koennte dich hassen
»Beim nächsten Regen wird sie wachsen und blühen. Und ein paar Wochen später trägt sie Früchte – so eine Art Wüstenrosine. Total verblüffend, oder? Dass irgendwas so lange still daliegt …«
Du gingst nicht hinein in die Separates, sondern liefst weiter um die Felsen herum. Nachdem du noch ein paar andere Blätter gesammelt hattest, setztest du dich und lehntest dich gegen den schwarzen, filzigen Stamm eines ziemlich großen Baums. Du hast den Baumstamm hinter dir gestreichelt.
»Und schau hier: Wüstenkasuarine«, sagtest du leise. »Sie ist die größte Pflanze hier und hat die tragischste Geschichte.«
Salzmelde, Wüstenrosine, Wüstenkasuarine … diese Namen enthielten Anhaltspunkte. Ich sagte sie mir im Kopf immer wieder vor, versuchte sie in mein Gedächtnis zu brennen. Ich hob ein Blatt auf und steckte es in meine Hosentasche zu der Nadel. Dann setzte ich mich dir gegenüber. Die Nadel pikte mich in den Oberschenkel, als ich die Knie beugte. Ich schob die Hand in die Tasche und befühlte wieder die rostige Spitze. Während du weiter den Baum streicheltest, rollte ich die Nadel zwischen den Fingern hin und her. Ich beobachtete deine Kehle. Beim Schlucken bewegte sich dein Adamsapfel, ein perfektes Ziel. Du strecktest die Hand hoch und pflücktest ein paar von den wispernden Blättern des Baums.
»Es gibt Leute, die behaupten, dieser Baum hätte die Seele von einem Dingo«, sagtest du. »Oder er wäre einer der Vorfahren aus der Traumzeit mit fließendem weißem Haar … Manche sagen auch, wenn der Wind richtig steht, kann er seine Wurzeln lösen und übers Land wandern. Aber um sich fortzupflanzen, muss er erst sterben.« Du hast die Blätter zerdrückt und ihre Überreste auf deiner Handfläche ausgebreitet, als wärst du ein Fernsehmoderator, der dem Publikum etwas über Getreide oder Samen erklärt. »Weißt du, seine Samenkapsel geht nämlich erst auf, wenn sie von einem Feuer in Stücke gerissen wurde. Nach dem Brand schwirren die Samen, die winzig kleine Flügel haben, in alle Richtungen aus und tragen ihr Leben an neue Orte.« Du hast die Blätter fallen lassen und wieder die Rinde des Baums getätschelt. Dein Lächeln zeigte mir, dass du offenbar dachtest, ich hörte dir mit echtem Interesse zu. »Ich habe Bäume wie den hier brennen sehen«, fuhrst du leise fort, »sie lodern wie Fackeln, verbreiten Chaos und zerstören alles um sie herum, aber sie erschaffen auch neues Leben.« Du hast dich wieder an den Baum zurücksinken lassen, dessen Rinde deinen Nacken und deine Haare schwarz gefärbt hat. Ein kleiner Käfer fiel dir auf die Schulter.
Die Nadel war so winzig, dass ich sie kaum spürte. Ich machte eine Faust und drückte meine Finger immer stärker zusammen, bis ich den dünnen, harten Stahl fest im Griff hielt. Dann sah ich wieder dein Gesicht an, betrachtete deine schönen, bösen Augen. Mir war klar, was ich tun wollte. Ich beugte mich ein wenig vor, um besser abschätzen zu können, wie weit du von mir weg warst. Einen Meter? Zwei? Du hattest wohl den Eindruck, ich käme näher, weil mich faszinierte, was du sagtest. Jedenfalls erzähltest du immer weiter, mit einem kindlich breiten Lächeln im Gesicht.
»Während die meisten andern Tiere und Pflanzen umkommen, wenn ein Buschfeuer ausbricht«, sagtest du, »überleben die Kasuarinen … sozusagen. Sie haben was davon, dass sie in Flammen aufgehen, zumindest ihre Nachkommen.«
»Und was ist mit den andern Pflanzen?«, fragte ich, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.
»Das Feuer tötet alles, damit die Kasuarinen leben können. Ziemlich clever – und auch nicht viel anders als bei den Menschen: Die warten, bis alle andern tot sind, dann kommen sie und besiedeln das Land.«
Du hast deine Augen fest zugekniffen und deine Arme um den Baum hinter dir geschlungen, in einer Art umgekehrter Umarmung. Ich öffnete die Faust und blickte auf meine Hand. Die Nadel blitzte in der Sonne. Ich sah, dass Sonnenstrahlen auf deinem Gesicht tanzten und dich träge machten. Genau in diesem Moment ließ ich mich nach vorne gleiten, auf dich zu. Ein Ast zerbrach unter meinem Knie. Ich erstarrte und kauerte am Boden wie ein Tier. Doch du bliebst, wo du warst.
»Wer weiß, vielleicht bleiben am Ende nur wir und die Kasuarinen übrig«, murmeltest du, »und tragen den letzten Kampf gegeneinander aus.«
Ich war jetzt nur noch wenige Zentimeter von dir entfernt. Du musstest mich gehört haben, aber deine Augen blieben geschlossen. Vielleicht
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