Ich würde dich so gerne kuessen
laufen schweigend. Ab und zu weichen wir Wellen aus, die im Sand brechen und schäumend auf uns zufließen.
Draußen auf dem Wasser kann man Möwen erahnen, die sich vom Wasser wiegen lassen.
Free Bird.
Nach einer halben Stunde Fußmarsch etwa lässt Jeffer seinen Rucksack in den Sand fallen.
»Hier ist es«, sagt er bedeutungsvoll.
Ich sehe mich um, kann aber nichts weiter sehen als Sand zu meinen Füßen und Wasser etwas weiter weg.
»Ich darf keine Fragen stellen, stimmts?«
»Andere Richtung.« Er fasst mich an den Schultern und dreht mich um hundertachtzig Grad.
Aber da sind nur Bäume.
»Es ist noch zu dunkel«, erklärt Jeffer. »Wir müssen warten.«
Wir setzen uns in den Sand und Jeffer zündet uns eine Zigarette an. Er legt den Arm um mich. Und so sitzen wir da. Ich zittere, weil es doch noch ganz schön kalt ist hier am Wasser. Jeffer legt seine Strickjacke um meine Schultern. Sofort steigt sein Geruch in meine Nase. Vertraut, angenehm.
»Mann, du bist echt ein Gentleman.«
Er zieht mich noch ein Stück näher zu sich heran.
»Worauf warten wir?«, frage ich nun doch schon wieder.
»Auf die Dämmerung.«
»Na, da hätten wir auch einen Zug später nehmen können.«
»Einen Zug später wärst du nicht eingestiegen.«
Mag sein, dass er recht hat. Vielleicht wäre ich wirklich nicht eingestiegen. Ich war schon immer der vorsichtige Typ, immer. Meine Eltern haben mir beigebracht, vorsichtig zu sein. Jederzeit und überall. Jeffer hat es allerdings jedes Mal geschafft, meine Vorsicht zu überlisten, mit Spontanität. Ja, er ist der Meister der Spontanität. Und ich kann nicht leugnen, dass es bisher verdammt viel Spaß gemacht hat. Alleine hätte ich das nicht hinbekommen. Nicht mal mit Maja.
Als es zu dämmern beginnt, erahne ich zwischen den Bäumen die Umrisse von einem Haus. Oder ist es eher eine Holzhütte?
»Das ist es?«, frage ich.
»Ja«, sagt Jeffer, streckt sich und gähnt.
»Und nun?«
»Wollen wir reingehen?« Er steht auf und klopft sich den Sand von seiner Hose.
»Ja, aber können wir das denn?«
»Wir können alles, das habe ich dir schon mal gesagt.«
Er nimmt meine Hand, zieht mich hoch, und wir steigen die Dünen hinauf zu dem Haus, das tatsächlich eher eine Holzhütte ist. Jeffer ruckelt an der Tür.
»Es ist abgeschlossen«, sage ich.
»Das heißt gar nichts.«
»Natürlich nicht, nur dass …«
»Scht.« Er legt mir den Finger auf die Lippen.
Wir gehen um die Hütte herum und Jeffer prüft jedes Fenster. An der Hinterseite lässt sich eins leicht öffnen, wird dann aber durch etwas blockiert. Jeffer haut leicht dagegen, schiebt seinen Arm rein und etwas fällt zu Boden.
»Na bitte. Einfacher, als ich gedacht habe.«
Ich sehe mich nach allen Seiten um, ob nicht schon jemand unser Eindringen bemerkt hat. Aber da ist nichts. Weit und breit Stille. Jeffer schiebt vorsichtig das Fenster auf und wirft seinen Rucksack rein, dann klettert er hinterher. Bevor ich zu lange überlegen kann, mache ich es ihm nach. Im Haus ist es stickig und staubig. Ich muss husten.
»Lass das Fenster offen. Sieh dich um und gib mir zehn Minuten.« Jeffer verschwindet in einen anderen Raum.
Es ist noch ziemlich dunkel, ich kann nicht viel erkennen. Ein kleiner Raum, angerissene Tapete hängt von den Wänden. Von der Decke baumelt eine Glühbirne. Ich versuche, den Lichtschalter zu finden, taste mich vorsichtig an den Wänden entlang. Am Boden huscht etwas vorbei. Eine Maus vielleicht. Es verschwindet wieder in die Dunkelheit. Ich finde den Lichtschalter, aber er funktioniert nicht. Man hört den Wind durch die Bretter pfeifen. Ich hoffe, dass Jeffer nicht plant, uns jetzt hier für die nächsten Tage einzusperren.
Ich höre ihn im Nebenraum poltern. Ich will kein Spielverderber sein, also lass ich ihn poltern. Er wollte zehn Minuten haben, die soll er kriegen. Wenn ich Maja davon erzähle, wird sie ausflippen. Sie findet solche Dinge immer ganz furchtbar romantisch. Maja ist ein totales Opfer amerikanischer Jugendserien. Sie hatte mich eine Weile mit reingezogen, aber ich habe davon immer schlechte Laune bekommen, weil in den Serien alles so aufregend war und das eigene Leben dagegen so trostlos schien. Ich hatte also beschlossen, nicht mehr so viel Zeit vor der Glotze zu verbringen. Dafür hatte ich angefangen, Bücher zu lesen. Düstere Bücher von Zola oder Dostojewski. Dort war das Leben so trostlos, dass das eigene sehr aufregend schien. Das war auf jeden Fall der bessere Weg.
Weitere Kostenlose Bücher