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Ich zähle bis drei

Ich zähle bis drei

Titel: Ich zähle bis drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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sein.
    Ich frühstückte so um zehn
morgens in der Cafeteria des Hotels und überflog sämtliche Morgenzeitungen.
Nirgendwo stand etwas über Warings Leiche, was die heißen Pfannkuchen mit
Ahornsirup wesentlich verdaulicher machte. Nach meiner zweiten Tasse Kaffee
stellte ich fest, daß ich bis zu meiner Verabredung mit Daphne um fünf
nachmittags nichts zu tun hatte. Die nächsten sechs Stunden gehörten ausschließlich
mir. Vielleicht sollte ich eine Besichtigungsfahrt durch London machen, dachte
ich müßig. Oder in die Savile Row gehen, um mir von irgend jemandem einen Anzug bauen zu
lassen, wie Sorcha vorgeschlagen hatte. Gerade, als ich mich für einen Bummel
durch Hyde Park mit anschließendem Kinobesuch entschieden hatte, wurde ich
durch die Sprechanlage des Hotels ausgerufen. »Mr. Boyd bitte zum Empfang«,
wiederholte die metallische Stimme ein paarmal, und unverzüglich klumpten sich
die Pfannkuchen in meinem Magen zusammen.
    Ich bezahlte mein Frühstück und
schlurfte zögernd aus der Cafeteria. Ich spürte, wie auf meiner Stirn der
Schweiß ausbrach. Ich sah die ganze Sache mit dem Knaben, der am Empfang auf
mich wartete, genau vor mir. Er würde so zwischen fünfundvierzig und fünfzig
Jahre alt sein, stechende blaue Augen haben, einen ergrauenden Schnurrbart und
einen Ladestockrücken; er würde einen dunklen Anzug und eine Melone tragen.
Seine Stimme würde klar und bestimmt sein: »Mr. Boyd? Mr. Daniel Boyd? Ich bin
Chefinspektor Farthingale von Scotland Yard. Ich
möchte Ihnen ein paar Fragen stellen, die den Mord an einem Edward Waring in
seinem Wohnhaus in Kensington betreffen, der gestern irgendwann zwischen
fünfzehn Uhr und siebzehn Uhr dreißig begangen wurde. Ich weise Sie darauf hin,
daß alles, was Sie sagen, gegen...«
    »Kann ich Ihnen helfen, Sir ?«
    Ich blinzelte und sah plötzlich
das erstaunte Gesicht der Empfangsdame vor mir. Zu spät wurde mir klar, daß
meine Judasfüße Verrat begangen und mich direkt vor den Empfang getragen
hatten, während ich damit beschäftigt war, den Kopf zu verlieren.
    »Boyd«, flüsterte ich.
    »Wie bitte?«
    »Boyd! Sie haben mich ausrufen
lassen«, zischte ich.
    »Ach ja, kommen Sie aus
Brooklyn, Sir ?«
    »Ich bin nicht hier, um mich
mit Ihnen darüber zu unterhalten, wo ich herkomme !« Ich stierte sie wild an.
    »Selbstverständlich nicht, Sir .« Sie preßte den Mund zusammen und lächelte dann
vorsichtig. »Ich habe Sie ausrufen lassen, weil ein Herr Sir sprechen möchte .«
    »Wie sieht er aus ?« fragte ich verstohlen. »So zwischen fünfundvierzig und
fünfzig? Stechende blaue Augen, ergrauender Schnurrbart, Ladestockrücken?«
    »So genau kann ich mich nicht
erinnern, Mr. Boyd .«
    »Dunkler Anzug und Melone ?« beharrte ich.
    Sie leckte sich langsam die
Lippen. »Tut mir leid, Mr. Boyd, aber es kommen so viele Menschen, ich kann
mich einfach nicht erinnern .«
    »Man setzt Sie als Lockvogel
ein, nicht wahr ?« fragte ich bitter. »Nicht Ihre
Schuld, ich weiß, Sie haben einen Job zu verlieren .«
    »Entschuldigen Sie mich bitte,
Mr. Boyd .« Sie schob sich mit einem gespenstischen
Blick vom Schreibtisch zurück. »Ich muß noch etwas erledigen .«
    Während ich mich gerade fragte,
ob sie irgendwie verrückt sei, quetschte jemand meinen Ellbogen in einen
Schraubstock und drückte ihn schmerzhaft hoch. Ich sah hinunter und sah
schlanke, sehnige Finger, die meinen Ellbogen umklammerten, und alle Hoffnung
erstarb.
    »Mr. Boyd ?« fragte eine tiefe, schnarrende Stimme.
    »Ja«, murmelte ich.
    Die Finger lösten sich, als ich
mich zu der Stimme umdrehte. Der Knabe, der höflich grinsend hinter mir stand,
sah aus, als habe er soeben im Alleingang den letzten Krieg gewonnen und kehre
nun als Sieger heim. Er war etwa so groß wie ich, nur vielleicht dreißig Pfund
schwerer, aber nach meiner Schätzung ohne ein Gramm Fett. Sein dichtes blondes
Haar glänzte so seidig wie die frisch gereinigte Mähne eines Löwen. Die eisig
blauen Augen in dem tiefgebräunten Gesicht standen weit auseinander, ihr
Funkeln enthüllte eine Art angeborener Grausamkeit. Unter dem starren Grinsen zeigte
sich ein Raubtiergebiß , das aussah, als könne es
schlicht jedermann mit einem einzigen Schnapp enthaupten. Der Anzug hatte genau
den richtigen Schnitt lässiger Eleganz, aber schließlich, schloß ich sauer,
würde noch ein alter Sack an ihm hinreißend aussehen, weil eben er ihn trug.
    »Ich bin Ross Sheppard«, begann
er. »Daphne Talbot-Frith hat mir von Ihnen

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