Ida B ... und ihre Pläne, so viel Spaß wie möglich zu haben, Unheil zu vermeiden und (eventuell) die Welt zu retten
nicht. Als Erstes ging sie zur Ärztin. Danach musste sie zur Operation ins Krankenhaus. Dann stellte sich heraus, dass der Krebs nicht nur in der Geschwulst steckte, sondern auch unter ihrem Arm. Und die Ärzte hofften zwar, alles herausgeholt zu haben, aber sicher wussten sie es nicht.
Mit dem Krebs war es wie mit Käfern in einem Baum: Den einen Tag siehst du sie noch gar nicht, am nächsten ist es, als wären sie bereits überall und fräßen Blätter und Früchte. Aber es bringt nichts, jeden einzeln zu zerquetschen. Du musst etwas Durchgreifendes tun.
Also ging Mama zu den Behandlungen ins Krankenhaus, und wenn sie zurückkam, war sie so müde, dass sie sich schon anstrengen musste, nur »Hi, Kleines« zu sagen.
Danach ging sie in ihr Zimmer und legte sich aufs Bett. Wenn man eine Stunde wegging und danach zurückkam, lag sie noch genauso da: auf dem Rücken, die Augen geschlossen, ihr Gesicht weiß wie Milch, die Hände fest in die Decke gekrallt.
Ich trat an ihr Bett und streichelte ihre Wange. »Uhmmm«, stöhnte sie, wenn meine Finger, leichter als man ein neugeborenes Kätzchen streicheln würde, über ihre Haut fuhren. Also ließ ich das Berühren sein und fragte, ob ich ihr vorlesen solle.
»Nein danke, Liebes«, sagte sie, wobei sie kaum die Lippen bewegte.
Ob sie wolle, dass Lulu kam und sie besuchte?
»Vielleicht später.«
Ob sie wolle, dass ich »überschwänglich« buchstabierte?
»Jetzt nicht, Süße.«
»Mama«, flüsterte ich einmal, als wir beide lange geschwiegen hatten.
»Hmm«, antwortete sie, als würde sie mir aus einem Traum antworten.
»Wirst du sterben?«, fragte ich so leise, dass ich mich selbst kaum hörte.
Mama öffnete die Augen und wandte ihren Kopf in meine Richtung. »Ida B«, sagte sie und sah mich ernsthafter an als je zuvor.
»Ja, Mama«, antwortete ich, doch ich konnte sie nicht ansehen, deshalb starrte ich lieber die kleinen Hubbel auf ihrer Tagesdecke an.
»Ich werde immer bei dir sein«, erklärte sie mir. »Immer.«
Dann drehte sie ihr Gesicht wieder in Richtung Zimmerdecke, schloss die Augen und sagte: »Verstehst du das, Kleines?«
Und ich antwortete: »Ja, Mama«, obwohl ich es überhaupt nicht verstand.
Danach saß ich einfach nur neben ihr und beobachtete, wie sie atmete, um auch wirklich sicher zu sein, dass sich ihr Bauch immerzu weiter hob und senkte.
Die Haare fingen ihr an auszufallen. In großen Büscheln lagen sie auf dem Kopfkissen, und wenn sie eine Weile aufstand, ging ich in ihr Zimmer und sammelte sie ein. Ich legte sie in »Ida Bs Tasche vermischter Dinge für noch nicht fest umrissene Pläne«, aber es war dort nichts anderes drin als Mamas Haare. Ich bewahrte die Tasche unter meinem Kopfkissen auf, und wenn ich meine Hand auf die Haare legte und die Augen schloss, konnte ich so tun, als würde ich in einer Wolke von Mama schweben.
Nach Mamas Behandlungen wurde unser Haus jedes Mal so still wie eine Bibliothek mit ausschließlich Erwachsenen drin. So als würde uns ein ewiges »Schhhhhh« die ganze Zeit in allen Zimmern verstummen lassen.
Wir liefen herum, ohne uns anzusehen wie früher. Daddy schaute nach unten, ich schaute nach unten, selbst Rufus schaute nach unten. Nur Lulu nicht. Sie starrte uns an, als wollte sie sagen: »Was immer hier los ist, eigentlich hätte ich schon vor fünf Minuten gern mein Fressen gehabt.«
Wir stellten unsere Teller ganz leise ins Spülbecken. Wir zogen unsere Stühle ganz vorsichtig unter dem Tisch vor. Wir gingen, nur ganz leicht den Boden berührend, durchs Haus. Ich weiß nicht, ob wir versuchten, Mama nicht zu wecken oder den Krebs.
Wenn Zeit war, setzten Daddy und ich uns in den gro ßen Sessel, damit wir dicht genug beisammen waren, um flüstern und trotzdem einander verstehen zu können, wenn wir Geschichten vorlasen. Und das waren so ziemlich die einzigen schönen Momente damals im Haus. Danach ging Daddy nachschauen, ob Mama vielleicht ein bisschen Suppe oder ein paar Cracker wollte.
»Magst du etwas essen, Ida?«, fragte er, wenn er in der Tür zu ihrem gemeinsamen Schlafzimmer stand, und seine Stimme war weich wie ein Kaninchenfell und leicht wie Rauch. Sie schwebte zu Mama und strich ihr über die Wange, dann über die Stirn, aber niemals zu fest.
Und meistens flüsterte Mama: »Nein danke, Liebster.« Aber manchmal sagte sie auch nur einfach »Evan« mit der Stimme einer Liebe, die tausend Kilometer weit weg war.
Mama bekam ihre Behandlungen und ausgerechnet danach war es
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