Ida B ... und ihre Pläne, so viel Spaß wie möglich zu haben, Unheil zu vermeiden und (eventuell) die Welt zu retten
und einer Boa constrictor, die einer entsetzten Frau das Leben aus dem Leib quetschte, dass dem Opfer vom Druck der Schlange die Augen aus dem Kopf sprangen. Unten am Bildrand war noch ein Mann zu sehen, dessen Leben bereits im Todeskampf geendet hatte. Man
sah noch deutlich die blutigen Spuren der beiden Giftzähne an seinem Knöchel.
»Achtung, Taranteln gesichtet«, lautete ein anderes, und hinter den Worten lauerte die größte, haarigste schwarze Spinne darauf, dich mit ihren riesigen Beutezangen zu schnappen.
»Alarm! Woche für Woche Tornados!«, erklärte ein drittes und zeigte einen Tornadorüssel, der ein niedliches kleines Haus, eine Mom, einen Dad, zwei schreiende Kinder und ihren Hund wer weiß wohin forttrug.
»Gefahr: Tsetsefliegen«, »Wilde, ausgehungerte Riesen-Hundebestie aus Tierhandlung entlaufen und hier in der Nähe gesichtet«, »Dieses Jahr große Heuschreckenplage erwartet« verkündeten einige andere, die ebenfalls mit eindeutigen Bildern versehen waren.
Ich wusste, manches würde zwar hier, wo wir wohnten, nie vorkommen, aber ich hoffte, dass unsere neuen Nachbarn nicht so gebildet waren. Außerdem benutzte ich jede Menge dramatische Ausdrücke, um die Dinge so richtig realistisch klingen zu lassen, und jedes Blatt unterschrieb ich mit dem Namen des Polizeichefs, Vernon Q. Highwater.
Es waren Meisterwerke des Schreckens.
Als ich etwa vierzig fertig hatte, trug ich meine Anschlagzettel zum Baugrund für das neue Haus und befestigte sie überall - auf Telegrafenmasten an der Straße, an den Bäumen, die auf dem Gelände stehen geblieben waren, auf dem Beton des Fundaments. Ja, ich klebte sie sogar an das Fachwerkgerippe, das schon errichtet war. Und ich fing an, Dinge zu sammeln und sie als Geschenke
im Keller zurückzulassen: Schlangen, Spinnen, Maden und Nacktschnecken. Das ganze Gelände würde bald so einen scheußlichen und erschreckenden Ruf haben und so abstoßend wirken, dass die neuen Leute viel lieber in ihrem Haus in der Stadt wohnen bleiben und nicht hier herausziehen wollten. Sie würden Daddy das Land zurück schenken , damit sie sich bloß keine Sorgen mehr um ein Ausbrechen der Beulenpest machen mussten oder um Alligatoren, die in Obstplantagen hausten.
18. KAPITEL
Zurück in der Schule, versuchte mich Miss Washington fertig zu machen.
Jeden Tag saß ich in der Pause auf der Treppe. Und jeden Tag setzte sie sich neben mich und sagte: »Irgendwas, worüber du reden möchtest, Ida?«
Und jeden Tag antwortete ich: »Nein, Madam.«
Aber es wurde immer schwerer, »Nein, Madam« zu sagen, ohne sie anzugucken und so zu tun, als ob sie eine Fremde wär.
Wenn du aufhörst, jeden Tag zu reden, und ein anderer stellt dir Fragen über dich, sagt aber nichts, womit er deinen Teil des Gesprächs ergänzen würde, sondern lässt dich selbst entscheiden, ob du ihn ergänzen willst oder nicht, fällt es schwer, den andern als einen Feind anzusehen und ihn dir weit genug vom Herzen zu halten. Es ist schwer, so jemandem nicht zu vertrauen.
Und sie machte mich auf eine Weise fertig, wie sie es wahrscheinlich gar nicht beabsichtigt hatte.
Miss Washington las uns jeden Tag nach dem Mittagessen vor und ihre Stimme klang dabei wie zehn verschiedene Musikinstrumente. Sie konnte ihre Stimme ganz schwer, tief und ausgreifend klingen lassen wie eine Tuba oder mit ihr hopp, hopp, hopp schnell und leicht dahinspringen wie eine Flöte.
Wenn sie las, hüllte ihre Stimme meinen Kopf und mein Herz ein, und alles wurde ganz weich und hell. In meiner Brust entwickelte sich ein Verlangen, als wäre ich sehr dicht an etwas dran, könnte es aber nicht ganz erreichen. Es legte einen Schmerz in mein Herz, der wohl tat. Wenn sie Geschichten erzählte, spürte ich, dass ich auch Geschichten erzählen wollte. Ich wollte so lesen wie sie, damit ich das Gefühl immer haben könnte.
Miss Washington las zudem stets gute Bücher vor, nicht so alberne, in denen Kinder bloß lernen, wie sie sich richtig benehmen. Die Kinder in ihren Büchern machten spaßige Dinge, tapfere Dinge, magische Dinge.
Sie ging an meinem Pult vorbei und legte ein Buch hin. »Ich hab mir gedacht, vielleicht möchtest du das hier mal lesen«, flüsterte sie.
Und ich ließ es einfach dort liegen, als wäre ich kein bisschen interessiert. Doch am Ende des Tages ließ ich es in meinen Ranzen gleiten. Zu Hause in meinem Zimmer holte ich es bei verschlossener Tür wieder raus und sie hatte Recht - ich mochte es wirklich. Sehr. Aber das
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