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Idealisten der Hölle

Idealisten der Hölle

Titel: Idealisten der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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unterschreiben. Arbeitslose Gewerbetreibende, rechter Schalter. Angelernte Tätigkeiten für den richtigen Mann …« und entfernte sich dann wieder.
    Das Penicillin zeigte seine Wirkung bei Wendover: Die Fieberzustände wurden kürzer und weniger häufig. Am zweiten Tag schlief er normal, und als er erwachte, waren seine Gedanken einigermaßen zusammenhängend. Er verordnete sich selbst Medikamente aus dem Seesack, erkundigte sich nach dem Kind, gab aber keine Ratschläge. Er aß nichts und schien keinen Anteil an seiner Umgebung zu nehmen.
    Harper ging Arm aus dem Wege und sprach nur mit ihm, wenn es notwendig war. Der Zwerg seinerseits war freundlich, widmete sich aber meistens dem Lesen (er bevorzugte, wie Morag, die illustrierten Zeitschriften und farbigen Magazine aus den Novitäten). Er erkundete, indem er regelmäßige Abstecher zur Musik und Fiktion N-Z machte, die Bibliothek. Nach manchen dieser Ausflüge überraschte ihn Harper, wie er auf seltsam zufriedene Art still vor sich hin grinste.
    Das Kind machte weniger Lärm. Als sie feststellten, daß Morag ihm keinen Namen gegeben hatte, debattierten sie hitzig über das Problem, kamen aber zu keiner Einigung.
    Harper wurde eine Unterredung mit dem Vorsitzenden der Behörde gewährt.
     
    *
     
    Personal betrat die Bibliothek, zog den Revolver und setzte sich in den Drehstuhl. Seine Helfer sperrten die Gruppe bei den Nachschlagewerken ein, sonderten Harper ab und trieben den Rest in eine Ecke. Er hielt Harper ein Blatt Papier und einen Bleistift entgegen.
    »Unterschreiben Sie hier«, forderte er.
    Harper zögerte unsicher.
    »Schreib irgend etwas drauf!« Arms Stimme übertönte drängend das Prasseln des Regens auf den Fenstern der Bibliothek. Es folgte ein dumpfer Schlag und ein Röcheln.
    Harper nahm den Bleistift und schrieb: »Laßt uns hier raus, Schweinehunde.«
    »Glänzend! Glänzend!« lobte Personal. Er eilte zu dem Krüppel und tätschelte ihn mit seiner Automatic.
    Die Flure waren düster und modrig. Der Regen peitschte gegen unversehrte Fenster, bildete Pfützen unter zerbrochenen. Der Himmel war mit eilig ziehenden Wolken bedeckt, das Licht schwach und grau. Personals hölzerne Schritte waren gedämpft und ohne Widerhall, als er den Gefangenen vorwärtstrieb. Harper gab den Gedanken an Widerstand sehr bald auf. Sie kamen an hohen Wandgemälden von moderüberdeckten Farben und kaum erkennbaren Formen vorüber, an Türen mit den Aufschriften REKLAMATIONEN, ALTERSRENTE und NUR VERSICHERUNGSSCHEINE, einem Aufzugsschacht, der weiß war von Vogelmist, angefüllt mit Stahlkabeln und offensichtlich als Müllschlucker benutzt wurde, einem Treppenschacht, auf dem stand ERDGESCHOSS UND AUSGANG. An einer Stelle war der Flur eingestürzt, und sie wateten durch eine Pfütze fauligen Wassers.
    Personal forderte ihn vor einer Tür mit der Aufschrift SITZUNGSSAAL auf, stehenzubleiben und klopfte zaghaft. Er schien sich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen.
    »Großes Entgegenkommen, so einfach auf das Normalverfahren zu verzichten«, brabbelte er. »Verstehen Sie? Er wird Sie jetzt empfangen. Denken Sie daran, es ist die Einstellung, die zählt. He, he.«
    Harper trat unruhig von einem Bein aufs andere.
    »Herein«, sagte eine dünne Stimme.
    Der Raum war in einem sanften Blau gestrichen, die Wände waren mit uralten, verknitterten Kurvenblättern und Verarbeitungsdiagrammen bedeckt. Ein hochfloriger Teppich und samtene Vorhänge strömten einen leichten Geruch von feuchtem Moder aus, ihre Farben waren unbestimmbar. Er war mit einem großen lederbezogenen Tisch möbliert, auf dem sich grellblauer Schimmel breitmachte, und mit zwei Armsesseln, um die herum die eigene Polsterung verstreut lag. Auf einem Beistelltisch standen eine grün überzogene Flasche Wasser und zwei Porzellantassen.
    Der Vorsitzende der Behörde trug einen Kopf von der Farbe von Haferbrötchen, der ungefähr doppelt so groß wie der von Personal und an den abgeblätterten und sich schälenden Ohren breiter als sein Brustkorb war. Er war mit einer kunstvollen Vorrichtung aus Gelenken und Verstrebungen an seinen Schultern befestigt, die Schulterstücke waren offensichtlich gefedert und mit ihm verklammert. Unaufhörlich lächelnd und mit aufgedunsenen Zügen, schwankte er beim Atmen vor und zurück. Zwei dunkelbraune Haarsträhnen – eine am Kinn, die andere aus der Stirn zurückgestrichen, die mit Zysten in einfacher, kreisförmiger Anordnung bedeckt war – waren sorgfältig genau in die

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