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Idealisten der Hölle

Idealisten der Hölle

Titel: Idealisten der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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schwer auf den Zwerg, der ihm den Rücken rieb. Morag focht einen erbitterten Kampf um das Kind. Sie hieb grimmig nach den flachen, rohen Gesichtern der Frauen.
    Wendover strich sich übers Gesicht und dachte: Ich bin viel zu alt.
    Als er den Blick wieder auf die Szene richtete, war sie zu einem Gemälde erstarrt. Arm blickte in den Nebel, ein nachdenklicher Zug lag auf seinem Gesicht, er hielt den Kopf zur Seite geneigt.
    Ein tiefes, mechanisches Brummen schwoll vom Rande des Hörkreises an. Als sie es hörten, stampften die Pferde mit den Hufen, und die Augen der Reiter huschten unruhig umher. Der Rest der Dorfbewohner starrte in die Richtung des Dorfes, aus dem sie gekommen waren. Arm grinste plötzlich und flüsterte Harper leise etwas zu.

 
X
DIE GLEITENDE NONNE
     
    Der Ton gewann an Fülle und ging deutlich wahrnehmbar in ein hohes Kreischen über, das die Gehörnerven zerriß. Bald darauf wurde der Nebel aufgewirbelt, wogte in fahlen Strudeln zur Erde hinunter, schoß wieder auf und verteilte sich wie Dampf zehn oder fünfzehn Meter hoch. Die Wirkung war nervenaufreibend.
    Wendover vollzog einen weiteren Akt geistiger Unterwerfung. Er hatte wegen seiner ständigen Ausweichmanöver eine tiefe Selbstverachtung entwickelt. Er versuchte, sich zu überzeugen, daß es Trennmechanismen waren. Dieselbe Feststellung hatte er vor Jahren gemacht, als er noch mit Vanessa zusammengelebt hatte: Es war auch damals schon eine Spitzfindigkeit gewesen, und nun konnte er sich nicht mehr an ihr Gesicht erinnern.
    Ein großes LWN-Luftkissenfahrzeug schob sich langsam aus dem Nebel. Seine Schnauze war grobschlächtig, aussätzig und blätterte ab. Es nahm die gesamte Breite der Straße ein. Die schrägen Fenster des Führerhauses fingen das graue, unbestimmte Licht ein und verliehen ihm ein echsenhaftes Aussehen: blind und unerbittlich.
    »Ah – ha«, sagte Arm mit leuchtenden Augen.
    Die Pferde tänzelten nervös, mit zurückgelegten Ohren im Kreis, traten sich gegenseitig auf die Hufe und rissen Streifen von der Umwicklung herunter. Um sie leichter führen zu können, waren die beiden Männer abgestiegen, hatten ihre Stöcke abgegeben und hielten die Tiere an kurzen Zügeln unter dem Biß.
    »Reg dich ab, Dora Meadows«, murmelte einer von ihnen, riß am Zügel des Tieres und hielt den Blick aufmerksam auf das Fahrzeug gerichtet. Das Pferd rieb sich an seiner Schulter und linderte eine eiternde Schwäre unter seinem Auge.
    »Die Schwester wird die da ’rausholen«, erklärte er seinem Pferd, »mach dir darüber keine Gedanken.« Er deutete mit einem finsteren Kopfnicken auf Morag. »Sind verdammt eng, die Hosen, eh?« sagte er. »Eh? Kein Wunder mit solchen Hosen.«
    Der LWN kam zehn Meter vor ihnen zum Stehen, schwang ihnen die Breitseite zu, heulte auf und sog den Nebel ein. Auf seiner schäbigen Flanke war eine abblätternde Schrift zu erkennen: TRUNK RAT S. Mit einem Seufzer, der durch das schwächer werdende Geräusch des Hubmotors zu hören war, senkte er sich auf seinen Gummirand. Als er abgestellt war, hockte er über der Straße und beiden Gräben.
    »Ha«, sagte Arm. »Das wird ihm noch leid tun. Die Düse ist nicht gerade aufgerichtet. Sie warten nie ihre Ausrüstung.« Das letztere mit leichter Geringschätzung, wobei er seine häßlichen Zähne bleckte.
    Der Lukendeckel hinter dem Führerhaus fiel mit metallischem Scheppern auf das Dach zurück. Eine Hand tauchte von innen auf, hielt sich am Rand fest und zog eine Gestalt von unbestimmbarem Geschlecht in Sicht, die mit einem langen, lose hängenden grauen Gewand, einer enganliegenden weißen Haube und etwas, das wie ein Schleier aussah, bekleidet war. Mit schwerfälligen Bewegungen, von den Röcken behindert, begann es, die Leiter hinunterzusteigen, die an der Seite des Fahrzeugs befestigt war.
    Sie sind also nie ganz ausgestorben, dachte Wendover.
    Die Gestalt kam näher, ihr Geschlecht war jetzt zu erkennen: eine Frau, etwa im selben Alter wie er selbst. Ein breiter Brustkorb, der nicht im geringsten auf Brüste hindeutete; kurzer, entschlossener Schritt; das Gesicht hinter dem Schleier verwischt. Er fragte sich, ob sie Krebsgeschwüre hatte. Wahrscheinlich würde sie den Schleier ohnehin tragen, aber es hatte einen enormen Zustrom zu den Klöstern gegeben, kurz nachdem die Symptome begonnen hatten: ein harter Schlag für die Regierung nach der Rekrutenknappheit und der Nonnenflucht der frühen siebziger Jahre.
    Ihre Hände waren groß, die Adern traten

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