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Identität (German Edition)

Identität (German Edition)

Titel: Identität (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Chaon
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Zeug, das so klang, als würde jemand immer und immer wieder dieselben Tonleitern auf dem Klavier spielen.
     
    Es dämmerte, als sie in das Motel fuhren. THE LIGHTHOUSE MOTEL erklärte die Neonschrift, aber die Neonschrift war nicht eingeschaltet, und das Ganze sah verlassen aus.
    «Endlich zu Haus!», sagte Mike Hayden, und er schob den Wahlhebel mit einer elegant-schwungvollen Bewegung in die Parkstellung. Er schaute über die Schulter und grinste, als Jay aus seinen Rücksitzgrübeleien aufschaute.
    «Das ist mein Haus», sagte Mike Hayden. «Es gehört mir.»
    «Oh», sagte Jay und warf einen Blick nach draußen. Es war schlicht ein altes Hof-Motel mit der großen Nachbildung eines Leuchtturms am Eingang, eine sich nach oben verjüngende Betonsäule, rot und weiß geringelt. «Ha», sagte er und versuchte, anerkennend zu nicken. «Cool.»
     
    Jay und Mike gingen den Weg hinauf, der vom Motel zum alten Haus auf dem Hügel führte, und sprachen dabei kein Wort. Es nieselte, Ende Oktober, und das Wetter schien sich nicht entscheiden zu können, ob es regnen oder schneien wollte. Der Wind peitschte das hohe dürre Unkraut hin und her.
    Das Haus, das über dem Motel aufragte, war von der Sorte, wie man sie in alten Schauerfilmen sah – das klassische «Spukhaus», fand Jay, obwohl Mike sich so gebärdete, als sei es ein architektonisches Wunder.
    «Ist es nicht der absolute Irrsinn?», sagte er. «Das nennt sich Queen-Anne-Stil. Asymmetrische Fassade. Auskragende Giebel. Und erst das Türmchen! Findest du das Türmchen nicht hinreißend?»
    «Klar», sagte Jay, und Mike Hayden rückte vertraulich näher.
    «Ich habe mit dieser Immobilie ein paar äußerst interessante Dinge hingekriegt», sagte Mike. «Die frühere Besitzerin ist eigentlich vor drei Jahren gestorben, aber ihre Sozialversicherungsnummer ist immer noch aktiv. Für die Behörden ist die Gute noch am Leben.»
    «Ah, okay», sagte Jay. «Cool.»
    «Wart nur ab, es kommt noch besser», sagte Mike. «Denn wie das Schicksal so spielt, hatte sie zwei Söhne. Beide sind jung gestorben, aber ich glaube, sie sind wiederbelebbar. Und das Beste ist, wenn sie noch lebten, wären sie ziemlich genau in unserem Alter! George. Und Brandon. Sie sind beide ertrunken – als sie Teenager waren. Sie schwammen drüben im See, und Brandon versuchte, George zu retten. Hat offenbar nicht geklappt.»
    Mike Hayden stieß ein hartes Lachen aus, als sei an dieser Tatsache etwas Bitter-Komisches, das Jay allerdings nicht ganz mitbekam.
    «Hör mal», sagte Mike. «Was hieltest du davon, wenn wir Brüder würden?»
    «Hm», sagte Jay. Er schaute dorthin, wo Mikes Hand ruhte, auf seinem Schultergelenk, und er zuckte und verkrampfte sich nicht. Das war eines der positiven Dinge, die er während seiner Jahre in Vegas gelernt hatte: ein Pokerface zu wahren.
    Ihm wurde eine Chance geboten. Atlanta war eine Sackgasse gewesen, und hier ergab sich eine Gelegenheit weiterzukommen.
    Spielte es eine Rolle, dass er selbst ein bisschen manipuliert worden war? Spielte es eine Rolle, dass er sich Mike Hayden – Breez – kurzzeitig näher gefühlt hatte, als wahrscheinlich klug gewesen war? Spielte es eine Rolle, dass er persönliche Dinge verraten hatte, spielte es eine Rolle, dass dieser Typ, wie immer er in Wirklichkeit auch heißen mochte, jetzt private Details aus seinem Leben wusste? Von seinem Sohn wusste. Seinen Geheimnissen.
    Ja, natürlich spielt es eine Rolle, du Idiot! Er war ein Volltrottel gewesen, und Mike Hayden – oder wer auch immer – lächelte sanft. Als sei Jay ein Hundekind in einem Glaskasten in einer Zoohandlung.
    «Eins der Dinge, die ich dir zeigen kann –», sagte Mike Hayden. «Du glaubst nicht, was man mit Toten nicht alles anstellen kann. Hast du auch nur eine Vorstellung davon, wie viele unbeanspruchte Immobilien es in diesem Land gibt? Es ist wie bei Risiko oder Monopoly oder was weiß ich. Du kannst dich einfach auf ein Grundstück setzen, und es gehört praktisch dir. Du musst nur wissen, wie du es richtig anfängst.»
    Mike lachte, und Jay lachte ebenfalls ein bisschen, obwohl er nicht so genau wusste, was eigentlich so witzig war. Sie hatten die Veranda des alten Hauses erreicht, und Mike Hayden holte einen Schlüsselring aus der Tasche, ein dickes, klingelndes Windspiel aus Schlüsseln. Wie vielen? Zwanzig? Vierzig?
    Aber offensichtlich hatte er keine Schwierigkeiten, den richtigen zu finden. Er steckte einen Schlüssel in das Schlüsselloch, das sich

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