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Idol

Idol

Titel: Idol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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auszuhändigen.«
    Signor Marcello, der diese Empfehlung gehört hatte, pflichtete ihr sogleich bei. Doch vergebens.
    »Da der Graf das Testament zu lesen wünscht«, sagte die Herzogin, »gebt es ihm, Baldoni. Wir haben nichts zu verbergen!«
    Obwohl voller böser Vorahnungen, konnte ich nicht umhin, dem Grafen über den Tisch hinweg das kostbare Dokument zu |440| reichen. Er nahm es, setzte sich – was schlechterdings unverschämt war, denn die Herzogin hatte ihn nicht dazu aufgefordert
     – und fing an zu lesen, wobei seine Nase mit jeder Seite länger wurde. Daß dieser Bandit sich die Interessen des Fürsten Virginio
     so angelegen sein ließ, hätte mich überrascht, wäre mir nicht sehr bald klargeworden, daß er dabei in erster Linie seinen
     eigenen Vorteil im Auge hatte – sei es, daß er den jungen Fürsten zu irgendwelchen Versprechungen bewogen hatte, sei es, daß
     er dachte, er könne hier ganz nebenbei seine natürliche Begabung für Diebstahl und Raub ins Spiel bringen. Einen ersten Erfolg
     hatte er ja schon errungen, als er die Großzügigkeit der Herzogin mißbrauchte, um sich – noch dazu ohne Empfangsbestätigung!
     – von ihr das Silbergeschirr herausgeben zu lassen, das er im Jahr zuvor für fünfzigtausend Piaster an uns verpfändet hatte.
    »Hier ist ein juristischer Terminus, den ich nicht verstehe«, sagte er und stand auf. »Bitte, Signora, laßt mich einen meiner
     Leute holen, der Kanzlist ist und ihn mir erklären kann.«
    Ohne ihre Erlaubnis abzuwarten, schickte er seinen Sekretär aus dem Saal, nachdem er ihm zuvor etwas ins Ohr geflüstert hatte.
     Ein oder zwei Minuten später erhob sich großes Getöse im Haus. Ein Diener kam hereingestürzt und rief atemlos:
    »Frau Herzogin, die Eskorte des Grafen will gewaltsam ins Haus eindringen!«
    »Das ist ja erstaunlich!« sagte der Graf mit spöttischer Ruhe. »Ob sie mich am Ende in Gefahr wähnen?«
    »Zumindest könntet Ihr jetzt in Gefahr geraten!« rief Marcello und zog seinen Degen.
    Da klatschte ich in die Hände und zog ebenfalls blank. Unsere Soldaten drangen in den Saal ein, den bloßen Degen in der Hand,
     und stellten sich hinter dem Tisch mit dem Service und dem Schmuck in geschlossener Reihe auf. Die mit den Arkebusen postierten
     sich zwischen den Schmalseiten des Tisches und der Wand. Alles vollzog sich sehr rasch und in völligem Schweigen. Im Gegensatz
     dazu erschienen wenige Augenblicke später die Leute des Grafen mit viel Tumult, doch erstarrten sie beim Anblick unserer Soldaten,
     denn sie begriffen, daß sie es hier mit Männern zu tun hatten, die ihr Handwerk verstanden: mit bloßer Großmäuligkeit wäre
     hier nichts getan.
    Der Graf richtete sich zu voller Größe auf und schrie laut:
    |441| »Meine Überzeugung steht fest, Signora: das Testament ist falsch! Falsch wie Eure Ehe, die Gregor XIII. annulliert hat! Falsch
     wie der Titel einer Herzogin, den Ihr Euch anmaßt!«
    Damit drehte er sich blitzschnell herum, warf das Testament in die Flammen, kehrte sich uns wieder zu und zückte Dolch und
     Degen.
    »Signori«, wandte er sich an seine Leute, »Geschirr und Schmuck gehören mir. Schafft alles weg!«
    »Frau Herzogin, dieser Mann da hat sich vergessen«, sagte einer von unseren Arkebusieren. »Erlaubt Ihr, ihm ein wenig Blei
     ins Gehirn zu pusten?«
    »Nein, Signore!« kam ihre Antwort. »Und Ihr, Graf, laßt das Silbergeschirr wegtragen, da ich einmal schwach genug war, es
     Euch zu schenken. Den Schmuck aber rührt Ihr nicht an!«
    »Hört nicht auf sie, Signori«, lachte der Graf. »Die Frau ist wahnsinnig. Sie schenkt mir mein Service! Sie schenkt mir etwas,
     das mir gehört! Sie redet irre! Achtet nicht darauf!«
    Im gleichen Augenblick streckten zwei Banditen die Hand nach dem Schmuck aus, zogen sie aber sofort blutüberströmt wieder
     zurück. Mit ihren scharfen Degen bildeten die Unsrigen ein Schutzgatter, hinter dem der Schmuck sicher war vor dem Zugriff
     der Banditen, die sich daraufhin des Geschirrs bemächtigten und den Rückzug antraten.
    »Graf, ich schlage Euch einen Handel vor«, rief jetzt Marcello. »Ihr duelliert Euch mit mir, und wenn Ihr mich tötet, soll
     auch der Schmuck Euer sein.«
    »Ihr werdet Euch nicht schlagen, Marcello«, sagte die Herzogin und hielt seinen Arm fest. »Hier befehle ich allein. Graf,
     mein Majordomus hat einen Diener zum Bargello geschickt. Ich rate Euch, unseren Palast zu verlassen, bevor er eintrifft.«
    »Sofern Ihr nicht das gleiche Schicksal

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