Idol
ich ins Kloster gehen, um dort den Rest meiner
Tage mit Fasten und Beten zu verbringen, damit Gott mir vergibt. Doch das Fasten und Beten wird nichts daran ändern: tief
im Innern werde ich die Reue spüren, die mich Tag und Nacht quält, und ich weiß mit Sicherheit, daß diese Qual erst mit meinem
Leben enden wird. Wenn ich an die Frau denke, die ich einmal war – so munter und fröhlich, so versessen auf Männer –, und
daß ich jetzt nur noch weine und klage oder, wenn ich nicht |444| weine, von meinen Erinnerungen verfolgt werde, dann sage ich mir: nicht einmal im Feuer der Hölle – das ich tausendfach verdient
habe – hätte ich mehr zu leiden.
Aber zunächst muß ich in der Zeit zurückgehen und erklären, wie alles gekommen ist. Man möge mir bitte verzeihen, wenn ich
meinen Bericht unterbreche, doch ich kann meinen Tränen nicht wehren, sobald ich an früher denke und wie glücklich ich war
– glücklicher, als ich törichtes Mädchen glaubte.
Die Heimtücke des Grafen Lodovico, der das Testament verbrannte und versuchte, den Schmuck des Fürsten mit Waffengewalt an
sich zu reißen, hatte die Signora tief getroffen und auch Marcello sehr beunruhigt. Von da an wurde der Palazzo Cavalli ständig
bewacht, und wenn die Signora in die Stadt wollte, wurde sie von einem großen, gut bewaffneten Gefolge begleitet, obwohl ihr
das gar nicht recht war. Immer wieder kam es deswegen zu Auseinandersetzungen mit ihrem Bruder. Die Signora war zu gut und
zu naiv, als daß sie geglaubt hätte, der Bandit würde sie ums Leben bringen, sobald sich eine Gelegenheit böte.
»Mich töten?« sagte sie. »Damit Fürst Virginio um hunderttausend Piaster reicher wird?«
»Und um Eures Schmuckes willen, den Ihr besser nicht tragen solltet!«
»Ich trage ihn nicht aus Eitelkeit.«
So etwas kann nur eine große Dame sagen! Mir würde das niemand abnehmen. Zum Beispiel würde ich vor Stolz platzen, wenn ich
das Kreuz von ihrem Onkel, dem Papst, um den Hals trüge, so daß die Füße Christi beinahe meinen Busen berühren. Ich habe es
übrigens vor dem Frisiertisch der Signora ausprobiert, als ich einmal allein war.
»Ich trage meinen Schmuck nicht aus Eitelkeit«, wiederholte die Signora, »sondern weil jedes Stück mit einer Erinnerung verbunden
ist.«
Das stimmt, aber es sind nicht immer gute Erinnerungen. Das erwähnte Kreuz beispielsweise könnte ihr das Exil in der Einöde
von Santa Maria ins Gedächtnis rufen.
Die Auseinandersetzungen wurden noch heftiger, als der Podestà Mitte Dezember das Testament des Fürsten in Kraft setzte.
|445| »Wir haben gewonnen!« rief die Signora. »Lodovico kann nichts mehr gegen mich ausrichten.«
»Juristisch gesehen nicht«, sagte Marcello. »Aber ihm bleiben immer noch Dolch und Arkebuse. Euer Tod würde das Testament
gegenstandslos machen.«
»Ach, Marcello, Ihr dramatisiert!« sagte sie. »Mich töten? Mitten in Padua, zwei Schritte vom Podestà entfernt, der mir so
wohlgesinnt ist?«
»Er ist Euch wohlgesinnt, aber nicht so sehr, daß er Lodovico aus der Stadt verbannt hätte.«
»Angenommen, der Graf würde mich ermorden«, sagte sie lachend (so absurd erschien ihr die Idee), »dann würde ihn das offensichtliche
Interesse, das er an meinem Tod hat, sogleich als den Schuldigen entlarven.«
»Gewiß! Aber es müßte trotzdem bewiesen werden. Und selbst wenn er verurteilt würde, könnte seine Hinrichtung Euch nicht wieder
zum Leben erwecken.«
Acht Tage später erhielt die Signora zu ihrer großen Überraschung einen Brief von Lodovico, der sie zu sprechen wünschte.
In meiner Gegenwart las sie Marcello das Schreiben laut vor.
Fürst Virginio beschwerte sich, daß sein Vater bei der Abreise aus Rom die besten Pferde der Besitzung mitgenommen hatte.
Er forderte die Signora auf, ihm wenigstens einige davon zurückzugeben. Dem Testament zufolge stünden ihr zwar alle Mobilien
zu, aber Pferde seien ja wohl nicht unbedingt als Mobilien anzusehen.
»Er nennt mich ›die Signora‹!« rief sie wütend. »Er billigt mir nicht einmal meinen Titel zu! Meine Ehe ist für ihn null und
nichtig! Nun gut – er soll gar nichts bekommen! Nicht ein Pferd! Nicht einmal ein Maultier!«
»Es ist tatsächlich nicht sicher, Vittoria, daß Pferde als Mobilien anzusehen sind. Ihr wäret gut beraten, Lodovico wenigstens
einige zu überlassen, damit er sie dem Fürsten Virginio zuführen kann.«
»Wie!« rief sie. »Ich höre wohl nicht recht! Das
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