Idol
Büffelleder für einen einfachen Kapitän
hielt und so vertraulich mit mir schwatzte, verschwieg ich ihm meinen Namen, um ihn nicht in Verwirrung zu bringen.
Vittoria Accoramboni saß auf einem Schemel mit Rückenlehne, ihr unglaublich langes blondes Haar war hinter ihr auf einer Art
Gestell in der Sonne ausgebreitet. Eine kleine maurische Sklavin beschattete Vittorias schönes Gesicht mit einem großen weißen
Sonnenschirm, den sie abwechselnd mit der rechten oder linken Hand hielt, damit ihr die Arme nicht erlahmten. Ihre Herrin
trug ein blaßblaues weites Hauskleid, dessen Falten wie bei ionischen Tuniken locker ihren statuenhaften Körper umflossen.
Man hätte sie für eine griechische Göttin halten können, zumal sie barfuß war und man deutlich ihre vollendet geformten Füße
sehen konnte, die sie bequem auf eine Fußbank stützte, so daß der Schirm sie nicht beschattete. Vittoria hielt ihre Füße wohlig
in die Sonnenwärme, und es bekümmerte sie wenig, daß sie bräunen würden.
Muratore zufolge – der jetzt in stumme Betrachtung versenkt war – zählte Vittoria gerade fünfzehn Jahre, aber ihre frauliche
Schönheit war bereits voll erblüht. Die kleine Maurin hielt ich für höchstens zehn. Auch sie war sehr hübsch: zierlich und
gut gebaut, hellbrauner Teint, rabenschwarzes Haar, große schwarze Augen, kleine Nase, großer Mund.«
»Dann ähnelte sie ja mir«, sagte ich mit gemischten Gefühlen.
»Ja, Aziza, und du wirst sehen, daß diese Ähnlichkeit für den Fortgang der Geschichte Folgen hatte. Die Kleine erschien mir
wie ein wichtiger Bestandteil des Bildes, das ich betrachtete. |171| Man hätte meinen können, ein großer Künstler habe sie an diesen Platz gestellt, nicht um Vittorias Teint zu schützen, sondern
um – durch den Kontrast – Vittorias rosige Haut, ihr zum Trocknen ausgebreitetes goldenes Vlies und ihre blauen Augen zur
Geltung zu bringen. Freilich konnte ich nur vermuten, daß Vittoria blaue Augen habe: sie hielt die Lider gesenkt und las.«
»Aber wie konntest du das alles sehen, Paolo? Sie saß auf der Terrasse, du warst auf der Straße.«
»Dem Haus gegenüber stand eine kleine Kirche, deren Vorhof, zu dem ein paar Stufen hinanführten, auf gleicher Höhe mit der
Terrasse lag. Dort fanden sich ihre Bewunderer ein: Männer und Frauen jeden Alters verweilten in schweigender Verehrung, bis
sie sich satt gesehen hatten und Neuankömmlingen Platz machten. Manche kamen andächtig vom Gebet aus der Kirche und blieben
auf dem Vorhof stehen, um ebenfalls an dem heidnischen Kult um Vittorias Schönheit teilzunehmen.›Man sieht ihre Augen nicht‹,
sagte ich zu Muratore. Ich hatte leise gesprochen wie an einem heiligen Ort. Trotzdem hatte ich die Anbeter gestört, wie ihre
tadelnden Blicke mir zu verstehen gaben.›Warten Sie‹, flüsterte Muratore und zog mich gebieterisch am Ärmel, um mich an den
Respekt zu erinnern, der dem Idol gebührte.
Und wirklich: Vittoria legte nach einer Weile ihr Buch in den Schoß, wo sie es mit der linken Hand aufgeschlagen hielt; sie
drehte den Kopf zu uns, sah uns mit ihren großen blauen Augen an und grüßte mit einem leichten Kopfnicken. Das geschah ohne
Hochmut und ohne plumpe Vertraulichkeit, aber mit wahrhaft königlicher Würde und Anmut. Durch unsere Gruppe ging eine Bewegung,
die Frauen verneigten sich, die Männer zogen den Hut, was ich, dem Beispiel Muratores folgend, ebenfalls tat. Dann zupfte
mich Muratore am Ärmel zum Zeichen des Aufbruchs; weil der Vorhof so klein sei, erklärte er mir, müsse man Platz für die anderen
machen: ›Denn der Mensch braucht Schönheit genauso zum Leben wie das tägliche Brot.‹«
»Ein Weiser«, sagte ich, »was ist aus ihm geworden?«
»Bei meiner Rückkehr nach Venedig habe ich mich nach ihm erkundigt. Er starb kurz nach meinem Besuch in Gubbio, mir ist nur
die Erinnerung an seinen Namen geblieben: Muratore, und an seine kleinen schwarzen Augen, die so lebendig |172| aus dem pergamentenen Gesicht strahlten. Ist es nicht seltsam, daß er in meinem Leben eine so große Rolle gespielt hat? Doch
wie könnte ich es wagen, hier von göttlicher Vorsehung zu sprechen, ohne Gott den Herrn zu beleidigen und den Heiligen Vater
zu ärgern? Vielleicht«, fuhr Paolo schalkhaft fort, »gibt es noch einen anderen Gott: den Zufall.«
»Ach, Paolo«, lachte ich (doch die Madonna weiß, wie wenig mir danach zumute war!), »du bist ein schlechter
roumi
! Und ein
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