Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
nicht zu hören. Er packte Laney an der Schulter und zeigte ihm die Zähne; sein aufgesperrter Mund sollte Freundschaft ausdrücken. »Ich hab echte Hochachtung vor Ihnen, Mann. Weil Sie überhaupt nicht nachtragend sind.«
Laney sah Arleigh, die ihm vom Eingang zur Lounge aus zuwinkte. Sie trug etwas Kurzes und Schwarzes.
»Machen Sie’s gut, Rice.« Er schüttelte die kalte Hand des Mannes. »Die taucht schon wieder auf. Ganz bestimmt.«
Und dann ging er lächelnd auf Arleigh zu und sah, dass sie sein Lächeln erwiderte.
44 LA PURISSIMA
Chia lag auf dem Bett und sah fern. Dabei fühlte sie sich normaler. Auf diese Weise war es wie eine Droge. Sie erinnerte sich, wie viel ihre Mutter ferngesehen hatte, nachdem ihr Vater weggegangen war.
Aber das hier war das japanische Fernsehen, in dem Mädchen wie Mitsuko, nur ein bisschen jünger, in Matrosenkostümen riesige Holzkreisel auf einem langen Tisch drehten. Das hatten sie wirklich drauf. Die Dinger fielen nie um. Es war ein Wettkampf. Die Konsole konnte übersetzen, aber es war noch entspannender, wenn man den Kommentar nicht verstand. Das Entspannendste waren die Großaufnahmen der rotierenden Kreisel.
Bei der NHK-Berichterstattung über die Todesente im Netz und die Kerzenwache beim Hotel Di hatte sie die Übersetzung allerdings eingeschaltet gehabt, um alles zu verstehen.
Sie hatte gesehen, wie eine äußerst wohltuend pummelige Hiromi Ogawa abstritt, sie wüsste, wer die Site ihrer Ortsgruppe zerstört und dann aus dessen Ruinen heraus zu der Trauerwache aufgerufen hatte. Hiromi hatte Wert auf die Feststellung gelegt, dass es kein Mitglied des Clubs gewesen sei, weder lokal noch international. Chia wusste, dass Hiromi log, weil es Zona gewesen sein musste, aber die Lo/Rez-Leute würden ihr vorschreiben, was sie zu sagen hatte. Arleigh hatte Chia erklärt, das Ganze sei von einer stillgelegten Website aus gestartet worden, die einem Luft-und Raumfahrtunternehmen in Arizona gehöre. Was bedeutete, dass Zona ihr Land hatte auffliegen lassen, denn
jetzt würde sie nicht mehr dorthin zurückkehren können. (Obwohl Arleigh nett zu sein schien, hatte Chia ihr nichts von Zona erzählt.)
Und sie hatte die Hubschrauberaufnahmen der Wache und der verdutzten Einsatzkommandos der Polizei gesehen, die schätzungsweise zweieinhalbtausend weinenden Mädchen gegenübergestanden hatten. Es hatte nur wenige Verletzte gegeben, alles ziemlich geringfügige Blessuren, bis auf ein Mädchen, das eine Autobahnböschung hinuntergerutscht war und sich beide Knöchel gebrochen hatte. Das eigentliche Problem hatte darin bestanden, die Mädchen von dort wegzuschaffen, weil viele von ihnen zu fünft oder sechst in einem Taxi hingefahren waren und nun nicht wieder nach Hause kamen. Einige hatten auch das Auto ihrer Eltern genommen, es dann in ihrer Eile, zu der Wache zu gelangen, einfach irgendwo stehen lassen und damit ein weiteres Durcheinander erzeugt. Es hatte ein paar Dutzend Festnahmen gegeben, meistens wegen Hausfriedensbruchs.
Und sie hatte die Aufzeichnung von Rez’ Botschaft gesehen, in der er den Leuten versicherte, er sei am Leben, es gehe ihm gut und er bedaure die ganze Sache, mit der er natürlich nichts zu tun habe. Das Monokelgerät trug er dabei nicht, aber er hatte denselben schwarzen Anzug und das T-Shirt an. Er sah jedoch dünner aus; jemand hatte das Bild frisiert. Anfangs hatte er grinsend gewitzelt, er sei nie im Hotel Di gewesen und habe überhaupt noch nie ein Liebeshotel aufgesucht, aber jetzt sollte er’s vielleicht mal tun. Dann war er ernst geworden und hatte gesagt, wie leid es ihm tue, dass Leute aufgrund eines unverantwortlichen Streichs Unannehmlichkeiten hätten und sogar verletzt worden seien. Und er hatte dem Ganzen die Krone aufgesetzt, indem er lächelnd erklärt hatte, das alles sei ungeheuer bewegend für ihn gewesen, denn wie oft komme man schon dazu, seiner eigenen Beerdigung beizuwohnen?
Und sie hatte die Besitzer und Manager des Hotel Di gesehen, die ihr Bedauern zum Ausdruck brachten. Es sei ihnen schleierhaft, sagten sie, wie das alles habe passieren können. Chia gewann den Eindruck, dass es hier zum guten Ton gehörte, sein Bedauern zu äußern, aber die Besitzer des Di hatten in ihrer Erklärung auch noch untergebracht, dass es kein Personal in ihrem Hotel gebe, damit die Gäste noch weniger gestört würden. Arleigh hatte das gesehen und gemeint, das sei die Werbung für sie gewesen, und sie wette, der Laden sei für die nächsten
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