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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Stuhl lagen T-Shirts und ein Kleid, »ordentlich und unordentlich zugleich, also ganz normal«, wie Schell sich ausdrückte. Das Kinderzimmer dagegen machte auf ihn einen »schwer geputzten« Eindruck; nicht das geringste kindhafte Chaos, brav saßen in einem Regal mehrere Puppen in weißen und rosafarbenen Kleidchen nebeneinander, auf der mit bunten Blumen verzierten Bettdecke hockte ein zotteliger brauner Bär mit großen Augen, an ihm lehnte ein kleiner, dünner Bär mit einer roten Schleife um den Hals. Unter dem Tisch stand ein pinkfarbener Schulranzen, auf dem Tisch lagen ein zugeklappter unbenutzter Malblock, daneben ein Blechkasten mit sauber gespitzten Buntstiften; an die Wand über dem Bett waren Zeichnungen gepinnt: viel Blau und Grün, Wasser, eine Sonne, Wiesen, krakelige Skizzen, die auf den ersten Blick schwer zu deuten waren.
    »Keine Spielsachen, Musikinstrumente, Zeug, das rumliegt?« hatte Weningstedt gefragt, und Schell hatte erwidert: »Ein Schrank mit Anziehsachen, akkurat eingeordnet, sonst nichts.« Diese Beschreibungen beunruhigten den Kommissariatsleiter.
    »In dem Kinderzimmer könnte man vom Boden essen, so sauber ist es, wie Micha erzählt hat.« Ohne auf Fischers Frage nach dem Verbleib des Kindes einzugehen, wiederholte Weningstedt den Satz, den er zu seinem Kollegen am Telefon gesagt hatte: »So viel Sorgfalt macht mich besorgt.«
    »Wurden Mutter und Tochter von zu Hause abgeholt?«
    »Unwissen«, sagte Weningstedt.
    »Dann haben Mutter und Tochter das Haus gemeinsam verlassen.«
    »Unwissen.«
    »Jetzt habe ich den Namen des Mädchens vergessen.«
    »Ich auch«, sagte Weningstedt. Der Block war unter den Stadtplan gerutscht. »Katinka. Sieben Jahre alt, angeblich. Im Schulranzen sind Hefte, auf denen 2 b steht.«
    »Katinka Schubart. Wo ist der Vater?«
    »Die Nachbarn sagen, Nele Schubart war nie verheiratet, zu dem Vater habe sie keinen Kontakt, sie kennen ihn jedenfalls nicht. Sie ist allein mit dem Kind in das Haus gezogen, vor drei oder vier Jahren.«
    »In welche Schule geht das Mädchen?«
    »Den Stempeln in den Büchern zufolge, die Micha im Schulranzen fand, in die Grundschule Guardinistraße.«
    Fischer rollte mit dem Drehstuhl um den Schreibtisch herum und kam gegenüber seinem Chef zum Stehen. Weningstedt sah ihn an und nickte. Dann überlegte er, wie spät es inzwischen war, aber er wollte nicht auf die Uhr sehen, er wollte jetzt einige Minuten still dasitzen, in Fischers Nähe, in seiner Obhut, im Orangenduft der Kerze, den er unauffällig einsog.
    »Wonach riecht’s hier?«
    »Komm erst mal rein.« Als sie an ihm vorbeiging, roch er ihr Parfüm, das er kannte; so wie er ihre Bewegungen kannte. Er sah ihr hinterher und schloß die Tür.
    »Von außen sehen die Wohnungen gar nicht so hell aus«, sagte sie.
    »Willst du ein Glas Wein?«
    Sie zog ihre Jeansjacke aus und warf sie über einen Gartenstuhl aus Holz, der mitten im Zimmer stand. Er hatte erwartet, sie würde deswegen eine Bemerkung machen, aber sie ging zum Fenster und strich sich, während sie hinaussah, mit beiden Händen über den Hintern.
    »Was macht Katinka?« fragte er.
    »Sie ist zu Hause und spielt.«
    »Gefällt ihr der Elch immer noch?«
    »Sie hält ihn jede Nacht im Arm, ihre zwei Bären sind schon beleidigt.«
    Sie drehte sich um und streifte ihr grünes Kleid von den Schultern.
    5
 
Kind im Rücken schwierig
    A ls sie auf dem Stuhl stand, mit der Schlinge um den Hals, und weinte, trug sie immer noch den rosafarbenen Slip; ihr Kleid lag auf dem Boden, daneben ihre Jeansjacke, die sie vom Stuhl hatte nehmen müssen. Ihre Hände waren hinter dem Rücken mit einer Schnur gefesselt; und weil sie geschrien hatte, nur kurz, hatte er ihr einen Tennisball in den Mund gestopft und ein Paketband darübergeklebt; jetzt hatte sie Angst zu ersticken, wenn sie nicht schnell genug durch die Nase atmete. Der Stuhl wackelte.
    »Steig rauf!« befahl er. Er stand hinter ihr.
    Wenn sie sich zu ihm umdrehte, würde der Stuhl kippen. Wieso mußte sie auf die Lehnen steigen, rechts und links? Wieso sind. Wieso hat. Warum. Das Seil schnitt ihr in den Hals. Was.
    »Du sollst raufsteigen!«
    Warum. Wie. Hilf. Ihr Blick. Verschwommen. Sie schämte sich. Sie schaute auf einen Schrank mit Glastüren, Geschirr und Gläsern. Vielleicht ein Erbstück. Wem gehörte die Wohnung? Ihr fiel der Name nicht mehr ein; sie hatte an der Tür geklingelt, und sofort war der Summer ertönt; im Treppenhaus roch es nach Abfall, nach

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