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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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anreden lassen muß? Sie hatte nie wirklich ein Interesse. In der Schule hatte sie gute Noten, weil sie begabt war, das Lernen fiel ihr leicht, sie machte Abitur mit einskommaneun. Großartig. Und wozu? Um als Verkäuferin in einem Kaufhaus zu enden. Als alleinerziehende Mutter. Fünfunddreißig ist sie alt geworden!« Seine Stimme wurde lauter. »Meine Exfrau hat die Geburtsurkunde mitgebracht.« Er nickte zu der braunen Ledermappe auf dem Tisch. »Im Frühjahr ist sie fünfunddreißig Jahre alt geworden. Und was für ein jämmerliches Ende.« Er beugte sich vor, streckte den Arm aus, um nach der Mappe zu greifen, hielt in der Bewegung inne, stand mit einem Ruck auf, verließ das Zimmer und sperrte sich im Bad ein.
    Fischer ließ das Schweigen eine halbe Minute lang dauern. »Sie sind die dritte Ehefrau von Dr. Schubart«, sagte er zu Freya.
    »Ja. Mit seiner zweiten Frau war er nur zwei Jahre verheiratet, das war wohl ein Irrtum.«
    »Warum?« fragte Liz. Es war zu spät, sich den Mund zuzuhalten; das Wort war aus ihrem Mund gesprungen, als wäre es dort eingesperrt gewesen. In Erwartung eines Hagelsturms aus Blicken bog sie den Körper zur Seite, aber Fischer tat, als habe er nichts gehört.
    »Sie war zu jung«, sagte Freya Schubart. »Zu jung und zu oberflächlich. Haben Sie Rückenschmerzen?«
    »Warum?« fragte Liz schon wieder. Mit einem Schulterzucken setzte sie sich aufrecht hin. Und als sie aus Versehen den Kopf drehte, bemerkte sie ein winziges Lächeln unter der Geiernase ihres Kollegen.
    »Oberflächlich«, wiederholte Liz, um etwas zu sagen.
    »Eine Fotografin, freiberuflich, kaum älter als seine eigene Tochter. Ich glaube, er weiß bis heut nicht genau, warum er sich auf diese Frau eingelassen und sie auch noch geheiratet hat.«
    »Kannte sie Nele?« fragte Fischer.
    »Weiß ich nicht. Weißt du’s?«
    Margarete Bliß neben ihr schüttelte den gesenkten Kopf.
    »Unser Kollege Weningstedt, der Leiter der Mordkommission«, sagte Fischer, »hat Ihnen mitgeteilt, Frau Bliß, wo wir den Leichnam Ihrer Tochter gefunden haben und daß Nele stranguliert wurde. Kennen Sie die Gegend, den Stadtteil, die Heiglhofstraße?«
    Sie tupfte sich die Augen ab, seufzte und hob schwerfällig den Kopf. Verglichen mit Freya Schubart, wirkte sie im gelblichen Schein der Deckenlampe, der sich mit dem grauen Tageslicht mischte, gebrechlich, verzurrt, vom Alltag besiegt. Mehrmals öffnete sie den Mund, stumm.
    »Ich war im Klinikum. Wie weit ist das… von dem Haus entfernt?«
    »Fünf Minuten.«
    »Fünf Minuten. Hab ich mir gedacht, so etwa… Eine Zystenoperation, mein Mann kennt einen Arzt dort, deswegen… Sonst? Nein, ich weiß nicht, was sie da gemacht hat. Ist ihre Wohnung nicht in der Nähe?«
    »Im gleichen Stadtteil«, sagte Fischer. »Waren Sie mal in der Wohnung Ihrer Tochter?«
    »Nicht drin«, sagte Margarete. Sie sah zum Flur; kein Geräusch kam aus dem Badezimmer.
    »Davor. Sie hatte mir geschrieben, daß sie umzieht und wohin, sie hat die Wohnung in Hadern über eine Kollegin bekommen, die ist da ausgezogen, weil sie sich scheiden ließ. So war das.«
    »Sie sind heimlich dort gewesen.«
    »Heimlich, nicht mal mein Mann weiß davon.« In das Schweigen hinein sagte Fischer: »War Nele ein schwieriges Kind?«
    »Hehe«, machte Margarete, verzog aber keine Miene, sondern griff wieder nach der Hand ihrer Freundin. »Das ist lustig, daß Sie das fragen. Gregor, mein Mann, hat mich das nämlich auch schon oft gefragt, ob Nele ein schwieriges Kind gewesen ist, ob wir sie falsch erzogen haben und sie deswegen so geworden ist. Wie sie war. Das ist komisch, weil… Sie war nie schwierig, Jan-Erich kann das bestätigen, sie hat immer alles gemacht, was man ihr auftrug. Immer. Auch in der Pubertät. Braves Mädchen. Und immer gute Noten, das haben Sie gehört, sie hat ordentlich ihre Hausaufgaben gemacht, sie war aufmerksam im Unterricht, sie meckerte nicht rum wie andere Kinder, sie hat wenig geweint, als kleines Mädchen ab und zu, später kann ich mich nicht erinnern, das war nicht ihre Art. Überhaupt ging sie nicht hausieren mit ihren Gefühlen, sie war immer ansprechbar, sie schottete sich nicht ab wie andere Mädchen in der Pubertät. Und an Jungen hatte sie wenig Interesse. Sie hatte aber Verehrer, das weiß ich noch, sie haben ihr Schallplatten geschenkt und Videokassetten, auch Blumen, die cleveren unter den Jungs. Hat nichts gebracht. Wann sie ihren ersten Freund hatte, weiß ich gar nicht mehr, da war

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