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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sie, glaube ich, schon ausgezogen und hat studiert. Eine Spätzünderin. Sie war nicht schwierig. Da hätten Sie mal die Ingrid oder die Maxi erleben sollen, nur Schminke und kurze Röcke im Kopf, und immer bei den Jungen, bei den Eltern nur Contra. Davon war unsere Nele weit entfernt. Wir konnten immer gut miteinander sprechen. Jan-Erich war stolz auf seine Tochter und ihre Leistungen und ich auch. Direkt nach dem Abitur ist sie ausgezogen, in eine Wohngemeinschaft, hat ihr eine Freundin vermittelt. Wir waren etwas baff, mein Mann und ich, sie hatte den Auszug längst organisiert und kein Wort gesagt. Sie zog aus und war weg. Und war weg.«
    Und ohne Freyas Hand loszulassen, schrie es aus ihr heraus: »Und jetzt hat sie sich umbringen lassen! Und wer kümmert sich jetzt ums Kind! Und wer ist schuld? Wir, die Eltern, wer denn sonst?«
    »Du hast Spucke am Kinn, Margarete.« Die Hände in den Hosentaschen, das Jackett in der Mitte zugeknöpft, stand Jan-Erich Schubart in der Tür. Sogar Fischer hatte ihn im Furor von Margaretes Stimme nicht aus dem Bad kommen hören.
    »Bist du jetzt für immer mein Papa, Papa?« Wenn sie mit dieser heiteren Stimme sprach und solche Sachen sagte, kehrte sein Haß zurück, kehrte in seine Hände zurück und ließ sie anschwellen und glühen; er packte dann die Mörderin und stellte sie auf den Stuhl und setzte sich zwischen ihre Beine und wartete. Und sie stand über ihm und wimmerte; als an ihrem linken Bein etwas heruntertropfte, beugte er sich angewidert nach vorn. Der Stuhl wackelte; das war der Haß, der ihn wackeln ließ; und die Mörderin schnaufte am Ball vorbei, der in ihrem Maul steckte. Warum hast du dein Kind ermordet? fragte er, und sie antwortete nicht; sie war so frech; so war sie seit jeher, frech und hinterfotzig. Warum hast du dein Kind ermordet? Dann stand er auf; sie glotzte ihn an. Er sagte: Willst du sprechen? Sie nickte; er streckte den Arm aus, ließ ihn in der Luft, vor ihrem Gesicht, ließ ihn da eine Weile, bis sie kapierte, endlich kapierte, und den Kopf senkte. Senk, sagte er, senksenk. Sie senkte den Kopf; reichte nicht. Bevor sie womöglich noch umkippte oder noch mehr Ekel aus ihrer Unterhose floß, riß er das Klebeband von ihrem Mund und zog den Ball heraus. Sprich, sagte er. Sie sprach nicht. Du hast einen guten Gleichgewichtssinn, sehr gut. Sie stand auf den Lehnen des Stuhls, den Kopf in der Schlinge. Warum hast du dein Kind ermordet? Leise sagte sie: Hab ich doch nicht. Da schrie er zu ihrem Gesicht hinauf: DU H AST SI E GEBOR EN, ODER N ICH T? DU H AST SI E GEBOR EN, ODER N ICH T? OBWOHL DIR I HR TOD LI EBER WÄ R F Ü R A LLE ZEI T! Dann schrie er noch lauter: W ER EI N K I N D KR I EGT, DAS ER N ICH T W ILL , IST EI N E MÖR DER I N ! Seine Stimme kippte weg. Er ging ins Bad und gurgelte mit warmem Wasser und übergab sich in die Toilette und spülte noch einmal seinen Mund aus.
    »Ich werde für dich sorgen«, sagte er zu dem Mädchen.
    »Und für meine Mama auch?«
    »Für deine Mama habe ich schon gesorgt.«
    »Du hast mir immer noch nicht gesagt, wieso sie nicht mitgekommen ist. Das riecht so gut hier, da hätt sie bestimmt eine schöne Nase gekriegt.«
    »Sie mußte verreisen«, sagte er. »Deswegen bin ich ja bei dir, damit endlich dein größter Wunsch in Erfüllung geht.«
    »Ja«, sagte sie und sagte mit heiterer Stimme:
    »Ich hab zum erstenmal im Meer gebadet, und das war noch viel aufregender, als ich mir das vorgestellt hab. Ist das die Erlösung, Papa?«
    Er antwortete nicht.
    »Und ich bin ganz weit rausgeschwommen, so weit wie du. Von da unten am Strand.«
    Sie standen am Fenster ihres Zimmers, am Horizont glimmte ein Sonnenrest.
    »Morgen gehen wir wieder hin«, sagte er und blickte über den Strand, wo Erwachsene Beachball spielten und Kinder sich mit Sand bewarfen. In den deutschen Zeitungen hatte er noch keine Zeile über die Ereignisse entdeckt.
    Auf der Fahrt vom Bordeauxplatz in der Nähe des Ostbahnhofs bis zum Nothkaufplatz an den westlichen Ausläufern Münchens telefonierte Liz Sinkel mit Weningstedt, ihren Kollegen vor Ort und dem Sachbearbeiter der Vermißtenstelle, der die Suche nach Katinka koordinierte und mittlerweile eine »Besondere Aufbauorganisation« ins Leben gerufen hatte, deren Mitglieder – falls die Fahndung keinen schnellen Erfolg brachte – eine Sonderkommission bilden würden. Außerdem erkundigte sie sich bei Dr. Dornkamm, ob die Obduktion präzisere Erkenntnisse über die Todeszeit erbracht

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