Idylle der Hyänen
mir eine Karte, immerhin. Ich hatte sie eingeladen, sie lehnte ab zu kommen. Sie ist eine erwachsene Frau.«
Als Fischer den Kopf bewegte, beeilte sich Liz, die Aussage des Mannes zu protokollieren, erschrocken über Fischers Reaktion, der aber, wie sie jetzt bemerkte, seine Aufmerksamkeit nicht auf sie, sondern auf Gregor Bliß richtete.
»Kennen Sie Nele?«
»Sehr flüchtig«, sagte Margarete Bliß anstelle ihres Mannes. »Er hatte Anfang des Jahres eine schwere Magenoperation, eigentlich sollte er zu Hause sein und sich schonen, aber ich habe ihn gebeten, mich zu begleiten, ich fühlte mich… Es war ein Schock, das Foto in der Zeitung, die Anrufe der Polizei… Mein Mann kannte meine Tochter kaum, wir haben uns zwei oder dreimal getroffen, vor Jahren, unser Kontakt war allgemein… distanziert. Nicht?«
»Vor vier Jahren hab ich mich aus dem Berufsleben verabschiedet«, sagte Dr. Schubart.
»Ich bin Zahnarzt, wie Sie wissen, ich bin Eigentümer der Praxisräume, eine Kollegin arbeitet dort, die früher meine Urlaubsvertretung war, eine junge, gebildete Ärztin, die eine Zeitlang in Amerika und Japan gelernt hat, gut. Es war ein einschneidendes Ereignis, mein Abschied, dreißig Jahre, mein Lebenswerk, das kann ich anders nicht ausdrücken. Ich habe die Praxis unter schwierigen Bedingungen über die erste Zeit gebracht, wir hatten Probleme mit dem Hausbesitzer, nach einem halben Jahr wollte ich kapitulieren, weil wir eine Baustelle nach der anderen direkt vor dem Haus hatten, auf demselben Stockwerk wurde eine Wohnung komplett renoviert, solche Dinge. Das ist Vergangenheit. Was ich damit ausdrücken will: Ich hätte mich gefreut, wenn meine Tochter den Tag des Abschieds von meiner Tätigkeit als praktizierender Zahnarzt mit mir, mit uns geteilt hätte. Sie war verreist. Mit Kind und Freund, das mußte sein, da gab es kein Umbuchen. Sie war auf Zypern, wenn ich mich nicht täusche.«
»Auf Ceylon«, sagte Margarete Bliß leise.
»Ceylon, schön. Das ist nur ein Beispiel.« Er ließ den Knoten seiner Krawatte los und wandte den Kopf ab. Als er wieder in die Runde blickte, wirkte er so kontrolliert wie zuvor. »Ich möchte mich bei Ihnen noch einmal für die ungewöhnlichen und eindringlichen Worte bedanken, Herr Fischer. Damit haben wir nicht gerechnet, niemand von uns hat Erfahrung mit der Kriminalpolizei. Wir wußten nicht, wer Sie sind, und Sie hatten recht: Man denkt, Sie würden lediglich Ihre Fragen abhaken und dann wieder gehen. Schließlich sind Sie nicht für die Betreuung von Familienangehörigen zuständig, sondern für die Ergreifung des Täters. Leider können wir Ihnen nicht helfen. Es ist unsere Tochter, die auf diese unvorstellbare Art gestorben ist, und wir werden uns mit großer Sorgfalt um alles kümmern und ihr eine würdevolle Beerdigung ermöglichen. Aber sie ist uns auch fremd, sehr fremd geworden.«
Margarete Bliß senkte den Kopf. Ihre Tränen fielen auf das weiße Stofftaschentuch, das sie im Schoß umklammerte.
»Sie lebte hier in München«, sagte Schubart.
»Und wir hatten doch keinen Kontakt. Du hast sie mal angerufen, aber sie hat nie zurückgerufen.« Unvermittelt hatte er sich an seine Frau gewandt. Freya Schubart brauchte einen Moment, bis sie begriff, daß sie gemeint war.
»Ja«, sagte sie zu ihm und sah dann Fischer an. »Sogar mehrmals hab ich sie angerufen, das weißt du gar nicht.« Diesmal geriet ihr Mann für einen Augenblick in Verwirrung. »Ich hätt gern mit ihr einen Kaffee getrunken und ein wenig mit ihr gesprochen. Sie ist genauso alt wie meine Tochter aus erster Ehe, die lebt heute in England, weil sie dort verheiratet ist und einen Job als Hotelfachfrau hat. Wir haben auch wenig Kontakt, aber ich bin jedesmal in der Seele froh, wenn ich ihre Stimme am Telefon hör oder wenn sie einen Brief schreibt. Sie ist meine Tochter. Und Nele gehört auch zur Familie, und ich wollt immer verstehen, warum sie so ist, wie sie ist, warum sie das Kind partout allein großziehen will, warum sie als Verkäuferin arbeitet, obwohl sie ein Biologiestudium begonnen hat und eigentlich in die Forschung gehen wollt…«
»Gerede«, sagte Schubart. »Sie hat nie ernsthaft studiert.«
»Welche Interessen hatte Nele?« fragte Fischer.
»Das weiß niemand.« Der Zahnarzt strich mit dem Daumen über den Knoten seiner Krawatte.
»Männer. Frei sein, was immer das bedeuten sollte. Was ist das für ein Freisein, wenn man zehn Stunden in einem Kaufhaus steht und sich von Kunden dumm
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