Idyllen in der Halbnatur (German Edition)
in seiner Mittagspause schreibt und sie anschließend in den Redaktionen der von ihm belieferten Zeitungen abliefert. Der Lokaljournalismus ist für ihn die erste Annäherung an seinen Traum, eines Tages als Schriftsteller und – noch dazu – als freier Schriftsteller leben zu können. Obwohl er erst siebzehn Jahre alt ist, ist er schon ein eifriger Leser und weiß deshalb auch, dass die von ihm besonders geschätzten Autoren (genannt werden Thomas Woolfe und andere) in ihrer Jugend ebenfalls als Zeitungsjournalisten gearbeitet haben. Eine der Zeitungen bietet ihm eine dreiwöchige Urlaubsvertretung eines Redakteurs an. Er nimmt das Angebot an und lernt auf diese Weise auch die Welt des Zeitungsgestalters, das heißt des Redakteurs kennen, der die Berichte seiner Mitarbeiter tagsüber sammelt, redigiert, mit Überschriften versieht und ins Blatt stellt. Obgleich er Freude an dieser Arbeit empfindet, wähnt er sich doch auf der falschen Lebensspur. Er erkennt gewisse Analogien zwischen seinem Dasein als Lehrling und seinen Aufgaben als Redakteur. Als Lehrling musste er Kisten und Säcke umhertransportieren, als Redakteur hebt er die Eitelkeiten von Kleinbürgern ins Blatt. Zwischen beiden Tätigkeiten gibt es seiner Meinung nach gewisse Ähnlichkeiten; auch der Redakteur ist, obgleich privilegiert, ein subalterner Zulieferer, der über seine funktionale Rolle als Rädchen in der Maschine nicht hinauskommt.
Und doch gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen den »Abschaffel«-Romanen und dem viel später hinzugekommenen Roman »Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman«. Es ist der Humor (oder, ersatzweise: die Ironie, die Komik). Abschaffel ist (war) ein vollkommen humorloser Mensch. Die einzige Möglichkeit, die ihm ein Lachen ermöglichte, war (zuweilen) die Schadenfreude, der Zynismus, das kaum versteckte Vergnügen an den Fehlschlägen des Lebens: weil sich in der Beobachtung der Fehlschläge die eigene pessimistische Konstitution wiedererkennen lässt. Eine Möglichkeit, die Gleichschaltung zwischen Ich und Wirklichkeit aufzuheben, ist der Humor. Der Humor deswegen, weil im Humor ein Abstand zwischen Ich und Welt aufscheint. Man kann die Gleichung aufstellen: Ohne Abstand kein Humor, ohne Humor kein Abstand. Über diese erstaunliche Gabe verfügt der Lehrling in »Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman«. Erstaunlich ist diese Gabe in diesem Fall deswegen, weil der Humor nicht vom Himmel fällt, sondern von einem Ich, von einem Subjekt in die Welt gebracht werden muss. Das Komische ist eine Zugabe des Menschen. Man kann sagen: Das Lachen ist die Erfindung einer Trennungszone zwischen einer zu aufdringlichen Realität und dem Subjekt, das diese Zudringlichkeit nicht ertragen mag. Wobei die Ergebnisse der Zurückweisung der Zudringlichkeit oft nicht pointiert sind. Sie haben nicht die Form von Witzen oder lustigen Geschichten. Das Komische ist eine Atmosphäre, in der es sich leichter leben lässt. Man kann auch sagen: Komik ist leidfreie Zwiespältigkeit. Der Komik empfindende Mensch setzt die ihm ordinär erscheinende Eindeutigkeit herab, damit diese ihre komische Zweideutigkeit zeigt.
Beiseite stehen und Luft holen
Bamberger Vorlesungen 2
Nach Abschluss der »Abschaffel«-Trilogie (1979) habe ich noch zwei weitere Romane geschrieben, die dem Themenumkreis des Angestelltenlebens verpflichtet waren, obgleich auch neue Aspekte darin eine Rolle spielten, die (das habe ich damals aber nicht gewusst) auf eine allmähliche Auflösung des Angestellten-Blocks hindeuteten. Das erste der beiden Bücher trägt den Titel »Die Ausschweifung« und erschien zuerst 1981; das zweite Buch erschien drei Jahre später, 1984, unter dem Titel »Fremde Kämpfe«. In der »Ausschweifung« spielt noch einmal ein Büromensch die Hauptrolle, allerdings steht das Arbeitsleben nicht mehr im Zentrum des Geschehens; denn diesmal ist der Protagonist verheiratet und Vater einer kleinen Tochter. In dem Roman »Fremde Kämpfe« ist die Hauptfigur ein freelancer, das heißt ein freischaffender Werbegrafiker, der die Angestellten-Welt (sozusagen) nur noch von außen erlebt. Denn er arbeitet hauptsächlich für Werbeagenturen, das heißt, er ist auf den mehr oder weniger regelmäßigen Besuch von Werbeagenturen fixiert, die ihm den Lebensunterhalt sichern – oder auch nicht; das heißt, er ist durch seine Position als freier Mitarbeiter immer auch auf die Interpretation der »Stimmung« in der Agentur angewiesen, das heißt, er macht ge-nau das,
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