Idyllen in der Halbnatur (German Edition)
bemerken. Was wir brauchen könnten – das ist der Wunsch angesichts des Mangels –, ist die Kompetenz einer inneren Eigenfremdsprachigkeit. Wenn wir eine solche innere Eigenfremdsprachigkeit hätten, müssten wir nicht mehr nach Worten suchen für das, was aus unseren inneren Bezirken nach außen dringt und genau an dieser Weltentrennstelle – an der Grenze von innen nach außen – dann doch wieder nicht richtig ausgedrückt und ergo nicht richtig verstanden werden kann.
Hätten wir eine Eigeninnenfremdsprache, dann hätten wir für das gefrorene Meer in uns einen gemeinschaftlich geteilten Fremdinneneigenwortschatz. Um zu erläutern, was ich mir vorstelle, nehme ich kurz den »Fall« Adalbert Stifter zu Hilfe. Zu den Gestehenskosten seiner Literatur gehört eine lebenslange Selbstvergewaltigung, die Stifter momentweise selbst unheimlich war, gleichzeitig aber auch unvermeidlich, weil sich Stifter ohne sie vermutlich mit der Stummheit hätte arrangieren müssen. Am 20. August 1835 gesteht er seiner Herzensdame Franziska Greipl: »Du warst ja doch immer trotz meiner vorsätzlichen Selbstverhärtung die Braut meiner Seele – du warst doch immer die Heilige, zu der mein besseres Ich betete …« Dreizehn Jahre später, in einem Brief vom 25. Mai 1848 an seinen Verleger Gustav Heckenast, erscheint das Maß der Gewalt deutlich verschärft – und gleichzeitig deren Umdeutung in eine Art Souveränität: »Selbstbeherrschung bis zur Opferung des Lebens«, schreibt Stifter, »Maß bis zur Verleugnung der heißesten Triebe ist nur in der Freiheit möglich; denn sonst kann es als Gebundenheit, nicht als Selbstbestimmung vorliegen.« Zwei Jahre darauf, am 6. Dezember 1850, hat Stifter in einem Brief an Heckenast bereits den Ton der absegnenden Verbrämung gefunden: »Das ist das unsäglich Wohltätige von der Natur, dass Seelenwunden wie körperliche heilen, nur mit dem Unterschiede, dass die geheilte Seelenwunde, wenn sie eine unverdiente war, statt Nachwehen, wie die körperliche, vielmehr eine gestählerte, gefestigtere und reinere Seelengesundheit zurück lässt. Sie werden es empfinden, durch Schmerz geht man zu einem größeren Karakter hervor.«
Weitere drei Jahre später, 1853, in einem Brief an den Gelegenheitsschriftsteller Gustav Pechwill, ist die Operation der Schmerzumwandlung abgeschlossen. Stifter hat die Transformation, wie er glaubt, überlebt und tönt entsprechend: »Der Schmerz ist ein heiliger Engel, und durch ihn sind Menschen größer geworden als durch alle Freuden der Welt.«
Man liest diese Sätze, versteht sie – und versteht sie gleichzeitig nicht. Natürlich ist der Gehalt makellos ausgedrückt; gleichzeitig gibt es einen Ausdrucksmangel zwischen den Anlässen der Sätze und ihrer Ankunft in der sprachlichen Präsentation. Es gibt in den Briefen Stifters viele ähnlich klingende Sätze, die immer wieder dasselbe Thema haben: die Verwandlung des Untröstlichen ins Tröstliche und die anschließende Rückverwandlung des Tröstlichen ins (wieder) Untröstliche. Es ist diese Umzwingung des Zwangs, von der wir gerne mehr und Genaueres wüssten.
Ich stelle mir vor: Es gibt in uns eine Affinitätssprache, die den Transport des Empfundenen in das Denken und dann den Weitertransport des Gedachten in die Sprache abbildet. Es gibt kein Wort für diese Sprache, deswegen nenne ich sie (hilfsweise) die Eigeninnenfremdsprache. Ich gehe davon aus, dass das erstmals auftretende Fremde eine sprachliche Form hat. Bisher ist uns der Zugang zu dieser Sprachform versagt. Wenn uns diese Sprache bekannt wäre, hätte auch Adalbert Stifter den einzigen Kindersatz verstehen können, den er in seiner biografischen Skizze »Mein Leben« überliefert hat. Stifter war noch ein Kind, er saß auf dem Fensterbrett, sah hinaus und sagte dabei sehr oft: »Da geht ein Mann nach Schwarzbach, da fährt ein Mann nach Schwarzbach, da geht ein Weib nach Schwarzbach, da geht ein Hund nach Schwarzbach, da geht eine Gans nach Schwarzbach.« Und auch ich, verfügte ich über eine Eigeninnenfremdsprache, könnte erklären, warum ein Buchliebhaber von hohen Graden ausgerechnet in einer feinen Buchhandlung rumsauen will.
II
Melancholische Renitenz
Bamberger Vorlesungen 1
Mitte der siebziger Jahre war ich knapp über dreißig Jahre alt und wollte Schriftsteller werden. Einen ersten Versuch, diesen Beruf zu ergreifen, hatte ich schon hinter mir. Der Versuch hatte rund zehn Jahre zuvor (1965) zur Veröffentlichung eines Romans
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