Ihr Auftritt, Mr. Pringle!
auf.
«Titel aus», rief Artemis, «in
drei, zwei, eins...» Und im Rhythmus zu dem Zählen blendete Hilary zu Vernon in
seinem weißen Ledersessel über. Bilder tanzten für Hilary in und aus dem
Brennpunkt; sie war noch nie derartig erschrocken; sie würde es nie bis zum
Ende schaffen; es wurde ihr immmer klarer.
«Achtung, Filmgeber eins.»
Artemis richtete ihren Blick auf die obere Reihe der Monitore, jeder eine
Filmquelle, und sah den Vorlauf im Bildfenster bereitstehend. Erstmals seit
Programmbeginn schaute sie jetzt hinunter auf ihre Stoppuhr. «Start Filmgeber
in...» Aber die Uhr und ihre Hand waren mit glänzendrotem Blut verschmiert.
Artemis vergaß, das Einleitungspaket abzuspulen. Statt dessen schrie sie laut
auf.
Auf dem Pult in der Tonregie
jagten die Nadeln in den roten Bereich: «Blut! Blut!»
«Um Gottes willen!» Der
Tonmeister zog verzweifelt die Abblender nach unten.
Im Grünen Zimmer hatte Mrs. Bignall
gerade begonnen zu erklären, warum Vernon Wilkes sie an eine Kreuzung zwischen
Alastair Burnet und Trevor MacDonald erinnere, als Vernon anfing, sich sehr
seltsam zu benehmen. Zuerst bemühte er sich, weiterzumachen. Er versuchte
verzweifelt, sich zusammenzureißen, aber es ging nicht. Spitze Schreie
durchstießen sein Trommelfell und schossen durch sein Hirn. Das war zuviel für
ihn. Er zog sich den Hörer aus dem Ohr, der gegen das an seiner Krawatte
befestigte Mikrofon fiel. In ganz Großbritannien, außer auf Jersey, Guernsey,
Alderney und Sark, war der metallische Geisterlaut des Aufpralls zu hören.
«Blut! Blut!»
«Die Tonübertragung ist
gestört», sagte der Tonmeister überflüssigerweise.
«Wie überaus seltsam», sagte
Mrs. Bignall.
In der Zuschauergalerie waren
die Träume vom Gewinn des Badminton-Pferde-Wettbewerbs rüde unterbrochen
worden.
«Ich sagte, was ist eigentlich
los?»
«Es ist der Regisseur, glaube
ich. Er ist umgefallen, und jetzt versuchen die anderen, ihn zu überreden, sich
hinzusetzen.»
«Ich wollte, das Mädchen hörte
auf, diesen Lärm zu machen.»
«Ja, ich auch.»
In diesem Augenblick fiel
Christophers leblose Hand in Hilarys Schoß. Ihre Nerven gingen schließlich mit
ihr durch, und sie machte den übelsten Schnitt, den man sich denken kann und
schaltete in das Moderationsstudio um.
Montag, 2. April 1984, 18.00:27
Uhr
Das Leben, pflegte Ashley
Fallowfield zu sagen, ist keine Schale voller Kirschen. Es konnte einem übel
mitspielen. Gerade wenn man es am wenigsten erwartete, konnte es einem aus dem
Nichts heraus einen Schlag versetzen. Er mußte es wissen.
Ohne Soufflieren startete er
bei der kleinsten Gesprächspause anderer zu einer endlosen Erzählung, wie er
mit siebzehn fortgelaufen sei, nur um festzustellen, daß seine Freundin ein
Transvestit war, der seine Ersparnisse für eine Geschlechtsumwandlung
benötigte. Er hing in Tanger fest und war gezwungen, seine Heimfahrt
abzuarbeiten — und mit seinem Körper zu bezahlen. Die Reise wurde jedesmal
länger, wenn er die Geschichte erzählte, aber immer, wenn er an diesem Punkt
angelangt war, senkte er die Lider.
Er hatte Zuflucht gesucht als
Sprecher bei Bath & Wells — niemand wußte, warum — und war zu Tode
gelangweilt. Vor allem an diesem Abend, da er an den Feierlichkeiten nicht
beteiligt war und nichts zu tun hatte, bis auf eine magere Übergangsansage vor
den Nachrichten um zehn.
Er rückte sein Abendbrottablett
beiseite und schob den Stecker seines Frisierkamms in die Steckdose. Dann
fummelte er an den Reglern herum, so daß sein Lieblingsbild auf dem Monitor vor
ihm erschien. Es war streng gegen die Vorschriften, aber wer zum Teufel wollte
schon den langweiligen alten Vernon Wilkes sehen? Ashley begann an der ersten
schwachen Locke zu arbeiten. Zack.
Mrs. Bignall betrachtete den
allerletzten Sendeplan.
«Hier steht nichts von einem
Friseur», sagte sie. Mr. Pringle beobachtete, wie sich ein alternder Cupido
einen narzistischen Kuß zublies.
«Ich halte ihn nicht für einen
Friseur», sagte er langsam.
Ein Techniker, der herumsprang
wie ein Derwisch, konnte endlich Ashleys Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Der
Mann schlug ans Studiofenster und sagte etwas. Ashley las ihm die Worte von den
Lippen ab.
«Du bist auf Sendung», besagten
sie. Ashley lachte nervös. Immer zogen sie ihn auf, diese lieben Jungs. Er
schaute sich um. Auf allen anderen Monitoren schauten sich ebenfalls Ashleys
um. Er ließ den Kamm fallen, glitt unter den Tisch und ging in die
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