Ihr Kriegt Mich Nicht!
Vorhänge. Ein UFO, dachte Mik, aber Bengt erklärte ruhig: »Polarlicht. Der Sonnenwind trifft auf das Magnetfeld der Erde.«
Der Selet war groß, größer, als es vom Fenster in Miks Dachkammer aus ausgesehen hatte. Nicht allzu breit, aber lang.
Bengt hielt an.
»Hier hab ich meine erste Leine.«
Quer über einem aufgehackten Loch lag ein Stecken, an dem die Leine befestigt war. Bengt hackte das über Nacht entstandene Eis mit der Axt auf und befühlte die Leine. Sie zuckte in seiner Hand.
»Na also, hier haben wir einen. Nicht sehr groß, aber kräftig.«
Bengt zog einen zappelnden Hecht aufs Eis und schlug ihm die stumpfe Seite der Axt auf den Kopf. Dann bestückte er den Haken mit einer neuen Plötze, die er vorher aufs Eis schmetterte, damit sie starb. Es sei Quälerei, sagte er, lebendige Plötzen als Köder zu verwenden.
»Tote Fische kann man nicht quälen«, sagte Mik. Weil sie nämlich tot sind, dachte er, aber das sagte er nicht.
»Plötzen kapieren sowieso nichts«, sagte Bengt. »Die wissen nicht mal, dass sie überhaupt existieren.«
»Aber was ist, wenn sie’s doch tun, und die Hechte auch?«
»Jesus hat nicht umsonst Fischer als Jünger gewählt. Es handelt sich um eine erlaubte Grausamkeit.«
Sie glitten weiter übers Eis, zur nächsten Leine. Bengt hackte die dünne Eisschicht auf, befühlte die Leine und sah Mik an.
»Der hier ist groß. Willst du ihn rausholen?«
Mik nickte und nahm die Leine. Er spürte ein schweres Schaukeln und ein erschreckend hartes Rucken.
»Halt dagegen!«, sagte Bengt. »Zeig ihm, wer der Boss ist!«
Mik schaute in das schwarze Wasser. Die Leine kreiste durch das Loch und schnitt Eissplitter von den Rändern ab. Und wenn das jetzt kein Hecht war? Vielleicht war es ja was ganz anderes. Dort unten in dem dunklen Wasser konnte sich alles Mögliche verbergen. Schläge und Stöße durchzuckten die Leine, etwas zog hart daran. Auf dem Eis stand Wasser, und Mik glitt näher zum Loch hin.
»Pack zu!«, sagte Bengt. »Wenn du ihn erst mal dazu gebracht hast, den Kopf nach oben zu drehen, gehört er dir. Aber du musst schnell sein, bevor er wieder abdreht.«
Mik zog. Die Leine sauste im Kreis. Es war ein harter Kampf.
»Jetzt hast du ihn, nur noch das letzte Stück!«
Ein großes, breites Maul tauchte in dem Loch auf. Zähne und ein gelbes Auge mit schwarzer Pupille. Das Maul kaute in der Luft, fauchte.
»Ein Drache«, schrie Mik. »Das ist ein Drache!«
»Jetzt zieh ihn aufs Eis!«
Der Hecht glitt über die Kante und wand sich auf dem Eis, versuchte zu schwimmen, kam aber nicht vom Fleck. Er war gewaltig, der Rücken so breit wie eine Riesenpythonschlange. Bengt schlug ihm mit der Axt auf den Kopf. Der Hecht erzitterte und lag still. Das Eis wurde blutig, und Mik wurde still.
»Leg ihn in die Kiste.«
Mik hob den Fang hoch. Er war schwer. Einen so großen Fisch hatte er noch nie gesehen. Wenn Tony ihn jetzt sehen könnte! Wenn Tony sehen könnte, was für einen unglaublichen Eisdrachen er gefangen hatte. Der Fisch war zu groß für die Kiste. Kopf und Schwanz hingen heraus.
In der Dunkelheit sahen sie eine dunkle Gestalt auf einem Tretschlitten.
»Das ist Bertil«, sagte Bengt. »Er hat seine Leinen dort drüben ausgelegt. Verdammter Schwarzangler! Das hier sind meine Gewässer.«
Brummelnd fuhr Bengt zum nächsten Loch.
Mik schlitterte auf dem Eis umher. Es war ganz glatt und blank. Er legte sich hin und starrte hinein. Eingefrorene Luftblasen schwebten wie Planeten darin. Er hielt die Zunge ans Eis. Es war kalt und schmeckte nach nichts. Dann stand er auf, nahm einen Anlauf und schlitterte vorwärts. Fantastisch, wie leicht das ging! Er rannte und breitete beim Gleiten die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten. Immer weiter, immer weiter hinaus! Er wollte schon neu Anlauf nehmen, als er etwas Seltsames spürte, ein Schwanken. Mik blickte auf seine Füße hinunter.
Da Eis bewegte sich, schaukelte in Wellen. Direkt vor ihm war offenes Wasser. Eine kreisrunde Öffnung, ein paar Meter breites schwarzes Wasser. Wie ein großer Brunnen. Polarlicht und Sterne funkelten auf der Oberfläche. Ein makelloser Himmelsspiegel. Mik trat vorsichtig näher. Auf dem Wasser entstanden Wellen, und das Bild des Himmels wurde verzerrt und verdreht. Jetzt sah es aus, als würden die Sterne tief unten in der Dunkelheit schweben. Ein Brunnen voller Sterne. Vorsichtig glitt er noch näher heran. Bei der kleinsten Bewegung zittertenkleine Wellen von den Rändern weg.
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