Ihr Kriegt Mich Nicht!
zugewinkt. Die Polizisten haben zurückgewinkt. Dann bin ich ein bisschen an der Außenseite des Balkongeländers herumgeklettert. Jetzt liege ich wieder unterm Bett. Die Batterien meinerTaschenlampe sind fast leer. Da kommt nur noch ein schwaches gelbes Licht. Die Papageienfrau ruft durch den Briefkasten, dass ich zu Lena fahren darf. Hauptsache, ich lasse das mit dem Balkon und mache die Tür auf. Jetzt sind die Batterien endgültig verreckt.
VIERTER TEIL
DIE PLAGEGEISTER
NEUE ELTERN
Mik saß auf dem Rücksitz. Er sah durchs Fenster und entdeckte, dass es Sommer war. Das hatte er gar nicht bemerkt. Grün und schön. Gelber Löwenzahn und weiße, leichte Wolken am blauen Himmel. Neben einem roten Häuschen flatterte eine schwedische Fahne. Sommer? Er war verblüfft.
Auf der ganzen Reise hatte er zwei Wörter gesagt.
»Nein.«
»Ja.«
Nein, hatte er auf die Frage geantwortet, ob er Hunger habe. Aber sie hatte ihm trotzdem ein Brot zugesteckt.
Ja, war seine Antwort auf ihre Frage, ob sie das Autoradio anmachen solle. Aber sie überlegte es sich anders und meinte, das müsse eigentlich nicht sein.
Jetzt würde er also bei einer Familie leben. Er würde Pflegeeltern kriegen.
»Eine funktionierende, richtige Familie«, hatte die Papageienfrau gesagt.
Erst hatten sie ihm Tante Lena versprochen. Durch den Briefschlitz hatten sie ihm versprochen, er dürfe nach Selet.
»Du musst einsehen, dass das nicht geht«, hatte die Papageienfrau gesagt, als sie ihn hatten. »Wir haben die Angelegenheit sorgfältig geprüft, und die Pflegefamilie ist für dich das Beste, das musst du verstehen.«
Sie wandte den Kopf nach hinten und sah Mik auf dem Rücksitz an. Sie lächelte: »Die haben einen großen Hof und viele Tiere. Und da gibt’s einen schönen See mit Kanus und Ruderbooten. Das wird Spitze!«
Mik legte das Kissen ans Autofenster und lehnte sich dagegen. Es duftete immer noch nach Pi, schwach, aber wahrnehmbar. Was war das, eine funktionierende Familie? Und was funktionierte da? Tante Lena war Tante Lena und ganz allein. Sie funktionierte, obwohl sie allein war. So wollte er es haben. Wenn er groß war, würde er ganz allein leben. Dann konnte nämlich nichts Überraschendes und Schlimmes passieren, außer man machte es selbst. Sich am Herd verbrennen zum Beispiel. Vielleicht über den Teppich stolpern oder vom Stuhl fallen. Das wäre schön. Wenn man heimkäme und ganz sicher wüsste, dass nichts passiert ist, weil niemand daheim ist. Und wenn man nicht vom Stuhl fällt oder über den Teppich stolpert, wird auch nichts passieren.
Sie bogen auf einen Hof ein. Ein großes gelbes Haus hinter einer Wendeplatte und einer Fahnenstange. Weiter unten sah er den See liegen, mit einem kleinen Sandstrand und zwei Kanus. Ein rotes und ein blaues. Rechts von dem gelben Haus stand ein großer Stall, in den gerade ein Mädchen ein Pferd hineinführte, und auf der linken Seite sah er ein langes niedriges Gebäude mit einer Art vergitterten Käfigen davor. Ein riesiger schwarzer Hund warf sich gegen eins der Käfiggitter und bellte das Auto an.
Mik fuhr erschrocken von der Fensterscheibe zurück.
»Was ist das denn?«
»Hab ich dir das nicht gesagt? Sie sind auch Hundezüchter. Sie haben Zwinger und eine Hundepension.«
Die Papageienfrau sah ihn im Rückspiegel an.
»Toll, was? Jede Menge Hunde, und da drüben hast du den Stall mit den Pferden. Bestimmt darfst du reiten. Das ist ein echtes Paradies.«
Auf dem Kiesplatz vor dem gelben Haus stand ein Junge, der ein Luftgewehr in den Händen hielt. Hinter ihm fuhr ein Mann mit nacktem Oberkörper auf einem Rasenmäher zwischen Apfelbäumen herum, vielleicht waren es auch Birnbäume. Der Mann schaltete den Rasenmäher aus und rief: »Hallo, willkommen!«
Der Rasenmähermann war braun gebrannt und hatte dicke, Furcht einflößende Muskeln. Er sah hart und erbarmungslos aus. Mehrere Hunde bellten jetzt. Der Junge mit dem Luftgewehr sagte nichts. Er hatte rote Haare und Sommersprossen und sah dumm aus. Hinterhältig und bescheuert. Er grinste Mik an, lud das Gewehr und schoss auf eine Blechdose. Die Haustür ging auf, eine dunkelhaarige Frau kam heraus und lächelte.
»Willkommen! In der Küche warten Kaffee und Rosinenschnecken. Und für die Kinder Saft.«
»Wie schön, das wird jetzt schmecken«, sagte die Papageienfrau.
»Oder sollen wir im Freien Kaffee trinken, wo so schönes Wetter ist? Soll ich alles rausbringen?«
»Nein, nein«, sagte die Papageienfrau.
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