Ihr Kriegt Mich Nicht!
mit einer Flagge, die Oskar gemacht hatte.
»Die Totenkopfflagge«, erklärte er.
Aber der Totenkopf erinnerte eher an einen grinsenden Clown.
Sie übernachteten im Zelt auf dem Floß. Dazu paddelten sie ans andere Ufer des Selet, was mehrere Stunden dauerte. Bis sie ankamen, war es fast Abend. Das Floß bewegte sich schwerfällig durchs Wasser. Filip wurde müde und weinerlich, vielleicht weil er verschnupft und erkältet war.
»Wohin können wir mit dem Ding hier überhaupt fahren?«, schniefte er. »Hä? Hin und her über den Selet. Und wie cool ist das, hä?«
»Wir können in die ganze Welt fahren«, sagte Oskar. »Auch abhauen.«
»Wie denn? Das hier ist doch bloß ein bleischweres Floß, mit dem kommst du nirgends hin.«
Die Sonne ging unter, aber es wurde nicht dunkel, eher so, als wären sie irgendwo im Schatten. Die Luft verfärbte sich, wurde blau, und in weiter Ferne schimmerten die Berggipfel immer noch im Sonnenlicht. Die Berge sahen aus, als wären sie aus massivem Gold, fand Mik.
»Der Fluss«, sagte Pi, »mündet ins Meer. Und vom Meer aus kann man in die ganze Welt fahren.«
»Nach China«, sagte Oskar.
»Ja, auch«, sagte Pi.
»Na super«, sagte Filip. »Und in den ersten Stromschnellen geht das Floß zu Bruch.«
Sie krochen ins Zelt und wühlten sich zwischen Luftmatratzen, Decken und Kissen. Mik durfte eins von Pis Kissen ausleihen.
Filips Handy klingelte. Filips Mutter wollte wissen, ob alles okay sei. Sie sagte Küsschen und Schlaf süß, für alle hörbar. Oskar und Pi schalteten ihre Handys aus, um keine ähnlichen Anrufe zu riskieren.
»Dieses Floß schafft sogar die Älgstromschnellen«, sagte Pi. »Garantiert. Hauptsache, niemand fällt runter.«
»Und die Borgstromschnellen?«
»Kein Problem«, sagte Pi. »Aber alle müssen schwimmen können. Für Mik kann es gefährlich werden.«
»Und danach?«, fragte Oskar.
»Danach weiß ich nicht, was passiert«, sagte Pi.
Mik hörte ihrer Unterhaltung zu, nicht Wort für Wort, sondern eher den Stimmen. Es waren Stimmen, die ihm wohltaten. Ambesten gefiel ihm Pis Stimme, die klang ein wenig heiser. Filip hatte eine piepsige Stimme, und Oskars Stimme war irgendwie nuschelig, als wäre seine Zunge ein bisschen zu groß für die Mundhöhle. Sie diskutierten darüber, was das Floß schaffen oder nicht schaffen würde. So dazuliegen und zuzuhören, das war ein gutes Gefühl. Er war nicht allein, und er würde nie mehr allein sein. Mik schlief zum Klang der Stimmen auf Pis Kissen ein.
Am nächsten Morgen gab es Schwimmtraining für Mik. Er schwamm am Seil und mit der albernen Schwimmhilfe um den Bauch neben dem Floß her.
»Prima«, sagte Pi. »Große, ruhige Bewegungen! Und lass die Finger geschlossen, dann kriegst du das Wasser besser in den Griff!«
Es klappte so gut, dass sie beschlossen, ihn allein schwimmen zu lassen. Mik sprang ins Wasser, sank und schwebte mit aufgeblasenen Backen unter der Oberfläche.
»Holt ihn raus!«, rief Pi und deutete ins Wasser.
Oskar und Filip tauchten und zogen ihn aufs Floß.
»Herrje«, sagte Pi und breitete irritiert die Arme aus.
»Öööhh«, sagte Mik und spuckte Wasser.
»Du hast bloß gezappelt. Du musst ganz ruhig bleiben.«
Er versuchte es noch einmal. Aus irgendeinem Grund bekam er Panik, bewegte sich viel zu schnell und sank wieder.
»Dein Selbstvertrauen«, sagte Pi. »Wo hast du dein Selbstvertrauen gelassen, du kleiner Spanner?«
Sie paddelten mit dem Floß zurück. Ein leichter Gegenwind sorgte dafür, dass sie den restlichen Tag dafür brauchten. Filip schlug vor, sie sollten sich einen Außenbordmotor besorgen.
Synchron-Bertil kam ihnen entgegengerudert. Er hatte einen komischen Hut auf.
»Schönes Boot habt ihr da«, sagte er.
»Das ist ein Floß«, sagte Oskar.
Synchron-Bertil stützte sich auf die Ruder.
»Die Dinge sind nicht unbedingt so, wie sie zu sein scheinen. Euer Floß ist vielleicht gar kein Floß. Das ist vielleicht die Silberarche, die zu uns gekommen ist, um die Menschen in den Himmel zu führen. Und ihr seid Engel.«
Synchron-Bertil zog die Ruder ein, bückte sich und hob einen Hecht in die Höhe.
»Hier hab ich einen Hecht, aber ich frage euch: Ist das wirklich ein Hecht? Woher wollen wir das so sicher wissen? Die Wirklichkeit handelt von einem tieferen Zusammenhang, den wir nicht kennen. Ihr seht ein Floß, ich sehe die Silberarche.«
»Ja«, sagte Filip. »Und dein Boot ist vielleicht eine Banane.«
»Genau«, sagte Synchron-Bertil und
Weitere Kostenlose Bücher