Ihr Kriegt Mich Nicht!
bekommen, Mik betreffend. Lena konnte nicht lügen. Das hätte alles nur verschlimmert. Ruhig und sachte legte sie den Hörer auf und sah Mik an.
»Zwölf?«, sagte sie. »Dann wissen wir wenigstens, wie viele Klatschmäuler es hier im Dorf gibt.«
Mik war völlig durcheinander. Er lag im Bett und glaubte, die Polizei würde ihn jeden Moment holen. Lena setzte sich zu ihm.
»Nein«, sagte sie. »Jetzt kommen sie noch nicht, morgen wahrscheinlich auch nicht. Das kann dauern. Sie wollten wissen, ob es dir gut geht und so und ob alles okay ist.«
»Aber sie kommen?«, fragte Mik unter der Decke hervor.
Lena stieß einen langen Seufzer aus.
»Ja, sie kommen.«
Sie blieb bei ihm sitzen, bis er einschlief.
Am nächsten Vormittag rief die Papageienfrau an. Sie fragte nicht nach Mik. Wollte weder wissen, wie es ihm ging, noch, was er dachte. Sie war empört und erbost, weil Lena sich nicht sofort gemeldet hatte, als Mik aufgetaucht war. Weil sie ihn so lange versteckt hatte.
»Versteckt?«, sagte Lena. »Er kam her und wollte hier wohnen, und das durfte er.«
Es wurde ein langes Gespräch. Lena ging sehr ruhig und vorsichtig mit der Papageienfrau um. Selbstverständlich könne Lena das Sorgerecht für Mik beantragen, aber sie, die Papageienfrau, könne nichts versprechen, weil dafür eine neue, sorgfältige Untersuchung nötig sei. Mik hörte dem ganzen Gespräch zu. Lena hielt den Hörer so, dass er hören konnte, was die Papageienfrau sagte. Vieles war schwer verständlich. Lena werde alle Antragsunterlagen und Formulare erhalten, die für eine Untersuchung erforderlich seien, aber während die laufe, müsse Mik zu den Pflegeeltern zurückkehren. So schnell wie möglich.
»Warum das denn?«, fragte Lena.
»Das wurde so entschieden. Eine Entscheidung nach dem JHG hat Gültigkeit. Wo kämen wir denn sonst hin? Wir sind für ihn verantwortlich.«
»Aber er fühlt sich hier wohl.«
»Diese Entscheidung hat das Sozialamt getroffen. Wollen Sie die Kompetenz der Behörde etwa in Frage stellen?«
»Keineswegs«, sagte Lena, beendete das Gespräch sanft und freundlich und legte auf.
»JHG«, sagt Mik.
»Jämmerliche hohle Großmäuler«, sagte Lena.
Oskar, Filip und Pi waren ungeheuer beeindruckt. Im Fernsehen wurde nach Mik gefahndet. Das war gigantisch. Gigantischer als das Tauwetter vor vier Jahren, als das Eis aufging und der Fluss die Brücke mitriss. Gigantischer als die Sache mit dem Nygårdswolf, den Bengt erlegte, wofür er sieben Monate in den Knast wanderte. Und gigantischer als die enorme UFO-Landebahn, die Synchron-Bertil auf dem Gipfel des Granbergs gebaut hatte.
Zwölf Personen hatten sich aufs Telefon gestürzt und die Polizei in Umeå angerufen. Logisch, hatte Bengt gesagt. Das sei doch klar. Das Fernsehen habe eine durchschlagende Wirkung, und er könne mit größter Sicherheit aufzählen, wer aus dem Dorf alles angerufen habe. Doch das müsse Mik ihnen gönnen.
»In so einem stillen Dorf ist es den Weibern verdammt langweilig. Du hast dafür gesorgt, dass ihr Leben mindestens bis Weihnachten einen Sinn bekommen hat. Wir Männer haben die Jagd und die Fischerei. Aber die Weiber spähen verzweifelt zwischen den Geranien aus dem Fenster und wollen, dass etwas passiert. Und das Einzige, was passiert, ist, dass der Frühling zum Sommer wird und der Sommer zum Herbst und der Herbst zum Winter. Und immer so weiter.«
Mik schlief schlecht. Wachte schweißnass auf. Zuerst glaubte er, er hätte in die Hose gemacht, sich vollgepisst. Von oben bis unten. Lena erklärte, wenn man unruhig sei und Angst habe, passiere so was. Warme Milch mit Honig könne da helfen. Sie kochte viel warme Milch mit Honig.
Mik begleitete Bengt auf den Selet, um Netze einzuholen. Die Ruder knirschten. Mik schwieg. Sie ruderten an dem Floß vorbei, das am Ufer angebunden lag.
»Sieht stabil aus«, sagte Bengt. »Das größte Floß, das jemals auf dem Selet geschwommen ist.«
Mik antwortete nicht. Er ließ die Hand durchs Wasser schleifen und schaute die Wirbel an.
»Wie wär’s mit einer Prise?«
»Was?« Mik hob erstaunt den Kopf.
Bengt ruderte mit kräftigen Ruderschlägen und lachte.
»Hab bloß Spaß gemacht.«
Sie erreichten den Schwimmer, und Bengt begann das Netz einzuholen. Mik musste sich um die Ruder kümmern. Das klappte nicht so gut. Das Boot schwenkte nach links, wenn es nach rechts sollte. Und rückwärts wurde zu vorwärts. Die Ruder benahmen sich widerspenstig und stellten sich dumm an, aber
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