Ihr Kriegt Mich Nicht!
Bengt hatte genauso viel Geduld wie Balu. Sie bekamen ein paar Hechte, die aber bei Weitem nicht so groß waren wie die im Winter.
»Eisdrachen«, sagte Mik. »Im Winter angeln wir Eisdrachen, oder?«
»Ja«, sagte Bengt.
»Versprechen Sie mir, dass ich dann noch hier bin und mit Ihnen angle?«
»Ist doch klar, das versprech ich dir. Wenn sie kommen, kannst du dich bei mir verstecken. Wir laden die Flinte, dann können sie es ja versuchen. Ich hab schon Bären und Wölfe erlegt.«
Er lachte.
Es war ein schlechter Fang. Aber mit Bengt zusammen sein, das tat gut. Im Boot sitzen und sich von den Ruderschlägen schaukeln lassen. Hier draußen auf dem Wasser würde niemand ihn überraschen können. Er hatte in alle Richtungen freie Sicht. Auf der anderen Seite ruderte Synchron-Bertil.
»Warum sprecht ihr nicht miteinander?«, fragte Mik.
»Weil er ein Idiot ist und in Rätseln spricht.«
»Schon, aber das, was er sagt, ist spannend.«
»Spannend?«, sagte Bengt und stützte sich auf die Ruder.
»Ja, dass der Kosmos bloß ein Gedanke ist und dass ein Hecht nicht unbedingt ein Hecht sein muss.«
»Der ist doch nicht ganz richtig im Kopf. So spricht ein Irrer.«
»Mein großer Bruder ist verschwunden«, sagte Mik. »Ich hab ihm jede Menge Briefe geschrieben, aber er antwortet nicht.«
»Kann an der Post liegen«, meinte Bengt.
Mik legte sich über den Bug, mit dem Gesicht zum Wasser. Er sah sein eigenes Spiegelbild und dachte an Tony. War er tot, oder was?
»Die Post«, sagte Bengt. »Die Post ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Dein Bruder hat die Briefe vielleicht gar nicht erhalten. Es hat Briefe gegeben, die erst nach zwanzig Jahren angekommen sind.«
Mik erwischte eine weiße Seerose. Der Stiel brach mit einem Plopp ab, wie ein Gummiband. Die würde er Lena schenken, oder Pi. Nein, das wäre lächerlich. Lena würde die Seerose kriegen.
»Seerosen öffnen sich bloß bei Sonne«, sagte Bengt. »An bedeckten Tagen bleiben sie geschlossen. Das ist gut. Nütze die sonnigen Tage, scheiß auf den Rest!«
»Jetzt klingen Sie fast wie Synchron-Bertil.«
»Tatsächlich? Das kann nicht sein!«
»Ich wünschte, Tony wäre hier. Ich würde ihm gern so vieles erzählen und zeigen.«
Bengt hörte auf zu rudern. Das Wasser tropfte von den Ruderblättern. Er blickte auf den Selet hinaus.
»Ich wünschte, mein Bruder dort drüben würde aus dem Bootfallen, sich in seinem Netz verheddern und auf den Grund sinken.«
Mik ließ die Seerose ins Wasser fallen, fing sie aber rasch wieder auf.
»Was? Wollen Sie, dass er ertrinkt und stirbt?«
»Nein, damit ich diesen Dreckskerl retten kann und wir quitt sind.«
Lena saß den ganzen Abend am Küchentisch und mühte sich mit den Antragspapieren ab. Las und schrieb. Mik durfte auch mitlesen, verstand aber nicht besonders viel. Die Seerose stand in einer kleinen Vase auf dem Tisch. Die Blüte war geschlossen.
»Oje«, sagte Lena und sah sich in der unaufgeräumten Küche um. »Die wollen einfach alles wissen.«
»Schreib, dass es einfach Spitze ist, hier zu wohnen. Der beste Ort der Welt. Schreib, dass Synchron-Bertil eine Landebahn für UFOs gebaut hat.«
»Ich bin diejenige, über die sie alles wissen wollen. Sie werden mein Haus inspizieren. Mich persönlich interviewen. Sie werden alles auf den Kopf stellen und mein ganzes Leben durchleuchten.«
»Müssen sie denn alles wissen? Gibt es jemand, der alles weiß?«
»Ja, leider. Wenn man lügt, kommen sie dahinter, und dann ist es endgültig aus. Dann werde ich nicht akzeptiert.«
»Aber du bist toll«, sagte Mik. » Ich akzeptiere dich.«
»Ja, wenn es so einfach wäre«, seufzte Lena und zählte auf: »Verheiratet, Partner, Alkohol, Drogen, finanzielle Lage und … Scheiße.«
»Was denn?«, fragte Mik.
»Ach, nichts, es ist bloß so viel. Hör dir das mal an: Eine Ermittlung, die einem Sorgerechtsbeschluss zugrunde liegt, muss sachlich, unparteiisch und wahrheitsgemäß erarbeitet sein, laut Gesetzbuch, Kapitel eins, Paragraf neun.«
»Paragraf?«
»Zeit fürs Bett«, sagte Lena.
Mik knarrte sich sachte die Treppe hinauf. Er blieb extralang auf den Stufen stehen, die besonders laut knarrten.
»Paragraf«, sagte er langsam und im selben Ton wie das Knarren.
Und dann die nächste Stufe.
»Paragraf.«
Und die nächste.
»Paragraf.«
Und die nächste.
»Papagei.«
»Paragraf.«
»Papagei.«
Die Papageientante würde er auf den Granberg hinauflocken, wo Bertil die Landebahn gebaut hatte, und
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