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Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)

Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)

Titel: Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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seiner schwammigen Zunge. Dann stellte er sich vor, wie er überprüfte, ob auch nichts verloren gegangen und der Gedanke noch vernünftig war, bevor er ihn in Richtung seiner Lippen drehte und ihn losmarschieren ließ wie ein stolzer Vater seinen Sohn am ersten Schultag.
    Und dann kickte der Gedanke seine Schuhe weg, riss sich die Kleider herunter, zerstrubbelte sich das Haar zu irrwitzigen Stacheln und rannte lallend aus seinem Mund hinaus und in die verwirrten Ohren anderer Menschen hinein, die sich über seinen Rollstuhl beugten, als wäre Nähe ein Mittel gegen unverständliches Gestammel.
    Niemand hatte ihn je nach dem Tag gefragt, an dem Charlie verschwunden war. Niemand hatte geglaubt, dass er irgendetwas beizutragen hätte.
    Und er hatte auch nichts beizutragen. Bis zu jenem Tag, als die Polizei in ihrer Verzweiflung bestimmte Details veröffentlichte, die sie bis dahin sorgsam gehütet hatten.
    Einschließlich des weißen Plastikklebebandes.
    Zu Hause vor dem Breitbildfernseher, wo seine Mutter ihn immer die Fernbedienung halten ließ, sah Teddy aus einem unsteten Augenwinkel zu, wie in den Nachrichten der Turnierplatz gezeigt wurde, wo Charlie verschwunden und wiedergefunden worden war.
    Mit absolutem Erinnerungsvermögen dachte Teddy der Spion augenblicklich an die Sonne, die die Kopfstütze an seinem Ohr so heiß hatte werden lassen, an die wedelnden Schwänze der Foxhounds, die wie ein glänzendes braun-weißes Meer um ihn herumgewogt hatten, an den Huntsman in seinem roten Rock und der schwarzen Samtkappe. Und an den Stiel der Peitsche des Huntsmans – der von oben bis unten mit weißem Plastikklebeband umwickelt gewesen war.
    Teddy grunzte laut nach seiner Mutter, die immer ganz genau wusste, was er sagen wollte.
    60
    Der Sonnenschein war mit Charlie Peach gestorben. Über Nacht war die Augustluft schwer, grau und reglos geworden – und der Huntsman wurde verrückt.
    Noch verrückt er.
    Die letzten beiden schwülheißen Tage hatte er damit zugebracht, ohne Maske oder Handschuhe auf dem Weg vor den Zwingern auf und ab zu tigern. Oder er stand an den Zwingertüren und grübelte über seine Schützlingen, während sich seine Lippen lautlos bewegten und Schweiß ihm über die Wangen rann. Er machte die Tür seines großen Schuppens zehnmal hintereinander auf und wieder zu, und aus der Fleischkammer hörten die Kinder das Klirren der Ketten, an denen das Fleisch hing, doch er brachte ihnen nichts zu essen.
    Angst hing schwer über ihnen allen, so bauchig und dunkel wie die Gewitterwolken, die sich im Westen zusammenbrauten. Maisie und Kylie weinten immer wieder krampfhaft, und Jess hockte dicht am Gitter ihres Käfigs und versuchte, sie ruhig zu halten. Sie fing an, »Zehn kleine Negerlein« zu singen, kam jedoch nicht weiter als bis zur ersten Zeile, ehe ihre Stimme brach, und sie verstummte. Danach weinten Maisie und Kylie einfach ungestört weiter.
    Es gab da so einen Fernseh-Cartoon – ein kleiner gelber Vogel in einem Käfig, der von einer Katze gepiesackt wurde. Schon als kleines Kind hatte Steven diesen Cartoon gehasst. Die Stäbe des Käfigs hatten zu breite Zwischenräume. Die Katze hätte jederzeit die Pfote hindurchstecken und den Vogel mit einer nadelspitzen Kralle aufspießen können. Sie tat es nie, doch Steven erinnerte sich an die ständige Furcht, dass sie es gleich tun würde.
    Unter dem glitzernden Blick des Huntsmans kam Steven sich vor wie dieser Vogel.
    Selbst nachdem der Mann entschlossen zum großen Schuppen zurückmarschiert war, konnte Steven nicht aufhören zu zittern.
    Jonas lag auf seinen gebrochenen Rippen, damit das Atmen nicht ganz so sehr schmerzte. Wie ein Metronom schabte er mit dem Kettenglied über den Boden. Sobald er eine zu tiefe Kerbe in den Beton gekratzt hatte, verlagerte er seine Operation einen Zentimeter nach links. Wenn er schlief, schlief er mit diesem einen, immer dünner werdenden Kettenglied in den Fingern, und manchmal wachte er vom Geräusch des leisen Schabens dicht neben seinem Ohr auf. Weil das Kettenglied klein und schwer zu fassen war, rissen seine Nägel ein, und die Haut an seinen Fingerspitzen war abgeschürft.
    Es war sinnlos. Vom logischen Standpunkt aus war ihm das klar, und trotzdem tat er es.
    Sein Leben war zu diesem geschlossenen Oval aus verzinktem Stahl zusammengeschrumpft, das in seinen abgeriebenen Fingern blankgescheuert worden war. Zum tausendsten Mal drückte Jonas es auf den Boden, bis seine Hand ganz weiß wurde, doch es verbog

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