Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)
ein Hund aus der Meute und sauste über den Platz, hinter einer Witterung her. Ein scharfes Rufen seines Namens ließ ihn augenblicklich zurückkehren. Jonas hatte schon immer gestaunt, dass der Huntsman jedes seiner vierzig Tiere beim Namen kannte, wo sie einander doch alle so ähnlich sahen.
»Daisy!«
»Dandy!«
»Milo!«
Und der auf Abwege geratene Hund rannte zurück zur Meute und gesellte sich zu dem gefleckten Chaos.
Auf dem nächsten Platz verweigerte ein dickes Pony und ließ ein kleines Kind über ein schienbeinhohes Gatter purzeln. Die Mutter des Mädchens duckte sich unter dem Seil durch und eilte zu ihm. Sie stellte die schluchzende Fünfjährige auf die Füße, klopfte sie ab, wischte ihr das Gesicht sauber und setzte sie wieder auf das grasende Pony, mit den üblichen Anweisungen von wegen Hände und Absätze und zeig ihm, wer der Boss ist. Der bezopfte Knirps schniefte, nickte entschlossen und bolzte heftig mit den dünnen Beinchen, ehe sie einmal im Kreis trabte und eine perfekte Wiederholung des Geschehens vorführte. Die Glocke läutete, um zu verkünden, dass die beiden disqualifiziert waren, und der Richter im Richterwagen bat um Applaus für einen tapferen Versuch. Die Mutter sammelte die Scherben ein und ging, wobei sie das Kind mit der einen und das hinterhältige Pony mit der anderen Hand führte – offenbar sehr viel verärgerter über Ersteres als über Letzteres.
Das wäre etwas für Lucy gewesen.
Der Gedanke kam aus dem Nichts und ließ seine Kehle schmerzen.
Mit klirrender Untertasse und klapperndem Löffel stellte er seinen Tee hin und strebte auf den Parkplatz zu.
Die Sonne war schon sehr warm, aber das machte Charlie nichts aus. Er drehte ihr das Gesicht zu, schloss die Augen und spürte, wie seine Lider ganz warm wurden, wie kleine Decken.
Von irgendwoher kam eine laute Stimme – wie die von Mr King am Sporttag – und sagte Sachen, die Charlie nicht richtig verstehen konnte; sie wurde mit der Brise stärker und schwächer. Wenn die Stimme aufhörte, war es jedes Mal so still wie zur Schlafenszeit.
Fast wäre er eingedöst.
Plötzlich hörte er ein scharfes Knirschgeräusch und riss die Augen auf.
Zuerst sah er nichts. Dann, als er in die Sonne blinzelte, bemerkte er einen Mann zwischen den Autos. Er hielt einen Stock in der Hand, holte damit aus und schlug gegen ein Autofenster. Charlie fuhr bei dem Geräusch berstenden Glases zusammen.
»Oh!«, stieß er hervor. »Oh!«
Böser Mann! Er hatte das Fenster kaputt gemacht! Böser, böser Mann! Nicola Park hatte mal ein Fenster vom Schulgewächshaus kaputt gemacht, und Mrs Johnson war ja soooo böse geworden!
Noch während Charlie hinsah, ging der Mann ein paar Reihen weiter und spähte in die Autos. Dann – nachdem er zuerst nach rechts und links geschaut hatte – blieb er stehen und machte dasselbe noch mal.
Charlie schaute zu den Zelten hinüber.
»Mr King!«, brüllte er. » Mr King !«
Der Mann blickte auf und sah ihn. Charlie drückte sich in seinen Sitz.
Der Mann machte kehrt und ging rasch auf den Kleinbus zu. Als er näher kam, sah Charlie seine großen grünen Handschuhe und das seltsam plattgedrückte Gesicht. Der Mann sah aus wie die Puppe, die sie in der Schule für die Guy Fawkes Night gebastelt hatten – aber er war lebendig und lief herum.
Noch nie in seinem Leben hatte Charlie solche Angst gehabt. Schlimmer als beim Lichtausmachen.
» MR KING !«, quietschte er gegen seine Brust, während er versuchte, den Mann daran zu hindern, seinen Gurt aufzumachen. » MR KING !«
Doch die laute Stimme redete noch immer, und dann klatschten die Leute auch noch.
Charlie Peach schrie weiter nach jemandem, der kommen und ihn retten sollte, doch seine verängstigten Schreie wurden rasch von einer starken Wollhand erstickt, die nach Krankenhaus roch.
Jonas wurde auf dem Weg zu den Autos ein halbes Dutzend Mal angehalten.
Die Leute meinten es gut. Das wusste er. Also war er höflich und freundlich – und widerstand dem Drang, ihnen allen zu sagen, sie sollten einfach weggehen und ihn in Ruhe lassen.
Ein Mann mit Sonnenbrille schrie irgendetwas, das er nicht verstand, und kam auf ihn zugelaufen. Und noch ehe der Mann ihn erreicht hatte, sagte ihm sein Gefühl, dass etwas Schlimmes passiert war …
16
Das Tor zumachen. Tor zumachen Tor zumachen TorzumachenTorzumachen …
Jonas rannte im Takt der Worte in seinem Kopf. Rannte zum ersten Mal seit über einem Jahr, rannte zum Tor und schwang es mit einem
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