Ihr stolzer Sklave
sein würde. Er schloss die Augen.
Mach einfach, dass du fortkommst. Sorge dich nicht um sie.
Der Überfall würde die perfekte Gelegenheit zur Flucht bieten. Keiner würde seine Abwesenheit bemerken, und wenn sie sie entdeckten, wären sie nicht in der Lage, ihm zu folgen.
Er packte rasch ein Bündel, mit Essensvorräten, Wasser, einem Feuerstein und einem Messer. Gerade genug, um zu überleben.
Wir brauchen dich, hatte Iseult gesagt. Der flehende Ausdruck in ihrem Gesicht wischte auf einmal alle seine Gründe zur Flucht beiseite. Konnte er zulassen, dass ihr ein Leid geschah?
Der Teufel sollte sie holen, weil sie so viel Macht über ihn hatte. Fluchend schleuderte er den Proviant quer durch die Hütte. Wenn er jedoch zuließ,dass der Stamm erschlagen wurde, ohne dass er einen Finger rührte, dann war er auch nicht besser als die Plünderer.
Er bewaffnete sich mit den wenigen Messern, die er hatte, und bereitete sich innerlich vor auf das, was kommen würde. Der Ringwall war unbewacht und auf einen Angriff nicht vorbereitet. Es lag jetzt an ihm, das zu ändern.
Draußen war es unnatürlich ruhig. Der zuvor bewölkte Himmel hatte sich verändert, und eine strahlende Sonne stand jetzt über dem Ringwall. Kieran ging zu den Toren hinüber. Orin und Muirnes Mann Hagen standen da und umklammerten ihre Speere. Das Gesicht des Jungen war mit Dreck beschmiert. Seine Augen blickten glasig, als hätte er nicht geschlafen. Er war starr vor Angst.
„Irgendeine Nachricht?“, fragte Kieran.
Orin schüttelte den Kopf. „Nichts. Das gefällt mir nicht. Sollten sie jetzt nicht schon zurück sein?“
„Es sind erst ein paar Stunden vergangen.“ Kieran deutete mit dem Kinn zu der kleinen Gruppe von Leuten hin, die über die Mauer nach draußen starrten. „Ich habe eine Idee, wie ich unsere Verteidigung verstärken kann, Orin. Wenn du nichts dagegen hast, könntest du mir eine Hilfe sein.“ Der Bursche strahlte über das ganze Gesicht. Dann versuchte er seine Begeisterung hinter einem erwachsenen Gehabe zu verbergen. „Was können wir tun?“
„Ich brauche Öl. Und einige Männer, um einen Graben auszuheben.“ Die Augen des älteren Mannes funkelten, und sie wechselten einen verständnisvollen Blick.
„Wofür brauchen wir Öl?“ Orin verzog verwirrt das Gesicht.
„Hol es einfach her, Junge“, befahl Hagen. „Ich werde Wache halten, während ihr beide tut, was getan werden muss.“
Iseult stand neben Niamh. Ihre Hand umklammerte einen Dolch. All ihre Sinne waren in Alarmbereitschaft. „Dieses Warten halte ich nicht aus“, stöhnte sie.
„Ich auch nicht.“ Niamh hielt einen Speer. Ungeschickt reckte sie ihn in die Luft. „Ich weiß noch nicht einmal, wie man mit dem Ding hier umgeht.
Wahrscheinlich steche ich damit einen Mann eher ins Knie als in Herz. Und das auch nur, wenn ich Glück habe und ihn treffe.“ Iseult kochte immer noch vor Wut über Kierans Weigerung, ihnen zu helfen. Was hatte sie erwartet? Dass ein Sklave ihre Verteidigung übernahm? Es war dumm gewesen, auch nur daran zu denken. Alles an ihm hatte sie glauben lassen, er wäre ein Krieger oder es irgendwann einmal gewesen. Doch sie hatte nicht von ihm erwartet, dass er so leicht aufgab.
„Was machen die da?“, fragte Niamh und unterbrach Iseult in ihren Gedanken. Sie deutete zum Tor hinüber, wo Kieran und Orin zu sehen waren.
Die beiden Männer trugen ein Fass und waren dabei, vor das Tor zu gehen, ohne dass Hagen sie auch nur im Geringsten daran hinderte. Der ältere Mann ließ sie einfach passieren.
„Haben sie vor, dem Feind ein Fass Bier zu schicken?“, wunderte sich Iseult laut. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte.
Die Männer verschwanden jenseits eines Abhangs und blieben für fast zwei Stunden verschwunden. Als sie wieder auftauchten, trug Kieran das Fass auf der Schulter.
„Ich glaube nicht, dass das Bier war“, meinte Niamh. „Aber Orin sieht sehr zufrieden aus.“
Iseult ließ den Dolch sinken, denn Kieran betrachtete sie mit durchdringendem Blick. Er ließ sie nicht aus den Augen, und sie erschauderte.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Niamh. „Du bist ja ganz rot.“ Dann sah sie zu Kieran, und ihre Stimme bekam einen argwöhnischen Klang.
„Iseult?“
„Es ist nichts“, beteuerte sie. Doch ihre Wangen brannten.
Hatte er seine Meinung geändert? Sie wollte es glauben. Aber war Kieran so unberechenbar?
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