Ihr stolzer Sklave
Ringwall aufging, blieb sie an der Palisade stehen, um zu dem verbrannten Gras hinüberzuschauen. Noch immer lag der schwere Geruch nach Rauch und Asche in der Luft. Iseult umklammerte das Holz des Zaunes. Splitter ritzten ihre Haut. Bald würde sie diesen Ort verlassen.
Und was dann?
Während des vergangenen Jahres hatte sie zwar ihre Suche nach Aidan fortgesetzt, sonst aber recht wenig unternommen. Sie hatte getan, was andere Frauen auch taten, hatte gewebt und gekocht. Ohne es zu bemerken, war sie mehr und mehr zu einem Schatten geworden.
Würde sie sich jetzt völlig verlieren, wenn sie nach Hause zurückkehrte?
Tief Atem holend hob Iseult das Gesicht zum Himmel. Mehr als alles andere wünschte sie sich, dass Kieran sie mit sich nähme.
Noch nie hatte sie einen Mann mit einer größeren Ausstrahlung kennengelernt. Und er begehrte sie. Seit dem Tag der Schlacht war das nicht mehr zu leugnen. Sie hatte seine Berührungen genossen, wie sie es bei Davin nie getan hatte. Selbst jetzt verzehrte sie sich nach ihm. War es nur reines Verlangen? Oder war es mehr?
Sie spürte die vertraute Erregung auflodern. Wenn Kieran sich je von den Albträumen befreien könnte, die ihn verfolgten, dann würde ein wirklich kraftvoller Mann zum Vorschein kommen. Einer, um den es sich zu kämpfen lohnte. Das fühlte Iseult.
Es war an der Zeit, ehrlich mit sich selbst zu sein und sich nicht länger hinter dem Kummer um Aidan zu verstecken. Auch wenn sie nie aufhören würde, ihren Sohn zu suchen, konnte sie Kieran doch nicht einfach fortgehen lassen. Jedenfalls nicht bevor sie herausgefunden hatte, was er für sie empfand.
Den Kopf voll wirrer Gedanken, blieb sie vor der Krankenhütte stehen. Die Tür öffnete sich, und Deena trat heraus.
„Er schläft“, sagte sie. Ihr freundliches Gesicht war voller Verständnis, und Iseult wünschte, sie könnte sich in die Umarmung der alten Frau flüchten.
„Wie geht es der Wunde?“
„Ich habe sie, so gut ich kann, versorgt. Bete für ihn. Dann wird er vielleicht verschont.“ Ihr Blick wurde besorgt. „Hast du Davin getroffen?“ Iseult senkte den Kopf. „Ja. Und jetzt möchte ich Kieran sehen.“
„Meinst du, dass das gut ist?“
Unter Deenas wissendem Blick zauderte sie. „Ich muss erfahren, ob er überleben wird.“
„Das steht in Gottes Hand.“ Trotzdem öffnete Deena die Tür. „Möchtest du einen Kamillentee?“
„Ja, gern.“ Iseult trat ein. Der tröstliche Duft der Heilkräuter umgab sie. Die in der Feuerstelle glühenden Torfstücke wärmten den Raum. Drei Männer schliefen auf den Krankenlagern. Kieran schlief ganz hinten im Raum. Sie ging zu ihm und kniete nieder. Deena hatte ihm die Tunika ausgezogen, und nur die Bandagen aus Leinen bedeckten seinen Oberkörper.
Obwohl er nicht die Stärke einiger anderer Stammesmitglieder besaß, war seine Brust doch breit und muskulös. Schlank und sehnig, war er nicht weniger gefährlich als athletisch gebaute Männer wie Cearul. Iseult schloss die Augen, denn auch Cearul musste zu den Toten gezählt werden.
Sie hätte am liebsten Kierans Haut berührt, um seinen Herzschlag unter ihren Fingern zu spüren. Doch sie wollte ihn nicht stören.
„Iseult?“ Deena, die noch am Feuer stand, hielt ihr einen dampfenden Tonbecher hin.
Iseult schritt zwischen den Männern hindurch und nahm das Getränk entgegen. Mit einer Handbewegung forderte die Heilerin sie auf, sich auf einen der Baumstümpfe zu setzen, die als Sitzgelegenheiten dienten. Iseult nippte an dem heißen Tee und genoss den Geschmack der Kamille.
„Warum bist du wiedergekommen?“, fragte die Heilerin geradeheraus.
„Um nach den Männern zu sehen.“ Iseult versuchte ihre Stimme gleichmütig klingen zu lassen, aber Deena schien sie zu durchschauen.
„Du bewegst dich auf gefährlichem Grund“, warnte sie.
Iseult wandte den Blick von Kieran ab. Es war klar, die Heilerin hatte die Wahrheit bereits erraten. „Was würdest du an meiner Stelle tun?“
„Ich würde es Davin sagen.“
„Das werde ich auch. Aber erst wenn Kieran geheilt ist.“ Wieder blickte sie zu ihm hinüber. „Sonst wird Davin ihn töten.“
„Du kannst den Sklaven nicht beschützen“, gab Deena zu bedenken. „Je länger du wartest, desto schlimmer wird es.“
Iseult nahm noch einen Schluck Tee. „Ich will nicht, dass sein Leben verwirkt ist, wenn ich Davin irgendetwas sage. Kieran mag mich
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