Ihr stolzer Sklave
Mit ruhigem Blick versuchte er ihren Zorn zu besänftigen. Ob sie nun bereit war, die Wahrheit zu hören oder nicht, er würde sie ihr sagen. „Ich folgte einem Mann, der eine Tagesreise von hier unterwegs war. Er brachte Proviant und Vorräte zu einer Pflegefamilie, bei der ein kleiner Junge lebt.
Danach kehrte er hierher zurück und wurde von deiner Mutter bezahlt.“ Iseult starrte ihn reglos an. Schließlich nickte sie langsam. Sie streckte die Hand aus und hob ein Stück Eisen auf, das neben dem Amboss ihres Vaters auf dem Boden lag. Einen Augenblick lang hielt sie es in der Hand, bis es sich erwärmte. Dann schleuderte sie es gegen die Wand der Schmiede. Klirrend schlug das Metall gegen den Stein. Eine Welle der Wut erfasste sie, denn sie wusste, dass Kieran die Wahrheit sprach. Caitleen war über die Nachricht ihrer Schwangerschaft entsetzt gewesen und hatte behauptet, kein Mann von Ehre würde sie jetzt noch heiraten. Als Murtagh am Tag ihrer Hochzeit nicht auftauchte, glaubte Iseult, ihre Mutter habe recht.
Sie wirbelte herum und lief auf den Ringwall zu. Ein schrecklicher Zorn hatte sie erfasst. Hätte sie eine Waffe zur Hand gehabt, sie wäre versucht gewesen, sie gegen ihre eigene Mutter zu richten.
Kieran holte sie ein und hielt sie zurück. „Warte, Iseult.“
„Sag mir nicht, dass ich warten soll“, fauchte sie ihn an. „Seit über einem Jahr weine ich um meinen Sohn. Sie verdient es, die gleichen Qualen zu erleiden wie ich.“
„Es wird die Vergangenheit nicht ändern.“
Vielleicht nicht. Aber sie hatte vor, Caitleen zu konfrontieren mit dem, was sie getan hatte. „Bleib hier.“
Mit jedem Schritt trübte ihre Empörung ihre Wahrnehmung. Wie hatte Caitleen so etwas tun können? Ihre eigene Mutter, die Frau, die ihr das Leben schenkte? Und warum? Aus der kleinlichen Sicht heraus, Davin könnte sie nicht zur Ehefrau wollen, nachdem sie bereits ein Kind geboren hatte? Obwohl ihr Herz ihr etwas anderes sagte, wollte sie es nicht glauben.
Sie stürmte weiter, bis sie schließlich die Tür zur Hütte ihrer Eltern aufriss.
Rory blickte von seinem Mahl auf. „Was ist los, Iseult?“ Sie beachtete ihren Vater nicht und stellte sich vor Caitleen. „Du hast ihn mir genommen. Meinen Sohn.“ Die Anschuldigung sprudelte ihr über die Lippen, während sie darauf wartete, dass ihre Mutter es leugnete.
Caitleen erbleichte und fuhr mit der Hand zum Mund. Aber sie sagte nichts. Ihr Schweigen verdammte sie ebenso, wie es Worte getan hätten.
„Warum?“, fragte Iseult. „Er ist von deinem Blut, so wie ich es bin.“
„Ich habe ihm nichts Böses angetan“, sagte Caitleen. „Ich kenne seine Pflegeeltern.“
„Ich habe um ihn geweint“, sagte Iseult. „Jede Nacht machte ich mir Vorwürfe, nicht gut genug über ihn gewacht zu haben. Ich glaubte, es wäre meine Schuld.“
„Ich wollte, dass du einen Mann von Rang und Ansehen heiratest“, sagte Caitleen. „Du warst so vernarrt in Aidan, dass du nie bemerktest, wie Davin dich ansah. Ich sah eine Chance für dich, und ich ergriff sie.“ Rorys Gesicht war vor Wut verzerrt. „Hast du denn gar kein Herz, Caitleen?“
Caitleen rang die Hände. „Ich handelte in dem Glauben, was ich für das Beste hielt.“
Iseult zitterte. Sie kämpfte darum, einen kühlen Kopf zu bewahren, aber in diesem Augenblick konnte sie vor innerer Erregung kaum atmen.
„Ich will dich nie wiedersehen“, sagte sie schließlich, drehte sich um und stürmte zur Tür hinaus.
„Iseult!“, rief ihr Vater ihr nach.
„Ich gehe mit Kieran meinen Sohn suchen“, sagte Iseult. Sie wandte den Blick zu ihm. „Und ich werde nicht hierher zurückkommen.“ Das Mitleid auf Rorys Gesicht war aufrichtig. „Ich wusste nicht, was sie getan hatte“, sagte er. „Du musst es mir glauben, Tochter.“ Sie zweifelte nicht an dem, was er sagte. In seinen alternden Gesichtszügen stand seine Aufrichtigkeit geschrieben. Aber mehr noch als das wusste sie, dass ihr Vater ihr nie wehtun würde.
„Lebe wohl, Vater.“
Sie zog sich den brat über den Kopf und hielt ihn mit einer Hand unter dem Kinn fest. Der zwischenzeitlich aufgekommene Wind peitschte ihr ins Gesicht, als sie in die Schmiede zurückkehrte. Sie konnte es kaum fassen.
Ihre eigene Mutter! Nach all dieser Zeit.
Kieran wartete auf sie, und Iseult warf sich ihm in die Arme. Erst jetzt konnte sie dem Schmerz in ihrem Innern nachgeben. Sie brauchte seine
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