Ihr stolzer Sklave
Finger strichen über die Griffe, und sie entsann sich, wie er dem Holz Leben einhauchte. Und sie musste daran denken, wie seine Hände sie gestreichelt hatten, als wäre sie kostbarer als ein Schatz.
Sie ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken. Ihre Augen blieben trocken.
Sie hatte keine Tränen mehr, um zu weinen. Nicht nach zwei Wochen ohne ihn.
Sie bereute ihren Entschluss nicht. Davin war überglücklich gewesen, sie zu sehen, auch wenn er sie zu nichts zwang, das über eine Freundschaft hinausging. Tagsüber kümmerte er sich um die Belange des Stammes und trat zusammen mit seinem Vater auf. Am Abend verbrachte er die Zeit damit, mit ihr spazieren zu gehen. Kein einziges Mal hatte er Kieran erwähnt, obwohl er ständig gegenwärtig war.
Iseult griff in eine Falte ihres léine , und ihre Hand schloss sich um ein geschnitztes Stück Holz. Mit den Fingern tastete sie jede Erhebung und jede Mulde in dem Holz ab, jedes Detail im Gesicht des kleinen Jungen.
Auch wenn es nicht Aidan war, brachte die Figur des Jungen ihr Trost.
Eines Tages werde ich dich finden, versprach sie ihrem Sohn. Vielleicht konnte Davin ihr helfen. Oder ihr Vater Rory.
Ob Kieran mit der Suche fortfahren würde? Obwohl sie ihn von jeglicher Verpflichtung losgesprochen hatte, wollte sie trotzdem daran glauben. O
Gott, wie sehr sie ihn vermisste! Auch wenn sie nur wenige Tage miteinander verbracht hatten, war es, als wären Jahre ihres Lebens dahingegangen.
Du wirst darüber hinwegkommen, sagte sie sich. Sie hatte den Schmerz über den Verlust Murtaghs überwunden, obwohl sie inzwischen wusste, dass es mehr Beschämung als Herzschmerz gewesen war. Sie dachte kaum noch an ihn.
Kieran zu vergessen würde viel länger dauern. Sie dachte an seine starken Hände, seine Aufmerksamkeit für Einzelheiten, in der Kunst des Schnitzens wie auch in der Art, wie er sie berührt hatte. Bei der Erinnerung überlief sie ein warmer Schauder.
Von allen Männern, die sie kannte, war er der mutigste. Doch verbarg sich hinter der Maske der Unbezähmbarkeit ein Mensch, der einen großen Verlust erlitten hatte. Sie verstand ihn, denn sie hatte die gleichen Qualen erfahren.
Ein Geräusch direkt vor der Hütte weckte ihre Aufmerksamkeit, und Iseult erstarrte, als sich die Tür öffnete. Beim Anblick ihrer Freundin entspannte sie sich aber augenblicklich.
„Was machst du hier?“, flüsterte Niamh. „Ich sah das Licht der Lampe. Ist alles in Ordnung?“
Iseult nickte und zwang sich zu einem kleinen Lächeln. „Mir geht es gut.
Ich … hatte nur das Bedürfnis, hier zu sein.“
„Du bist so blass.“ Ihre Freundin legte den Arm um sie. „Hast du überhaupt etwas gegessen?“
Iseult konnte sich nicht daran erinnern. Und so protestierte sie nicht, als Niamh ihr ein hartes Stück Brot gab. Es schmeckte alt, aber sie aß es aus Höflichkeit.
„Du solltest nach Hause gehen“, drängte Iseult, nachdem sie gegessen hatte. „Es ist schon spät.“
„Du auch.“
„Das werde ich. Nachdem ich noch ein wenig Zeit hier verbracht habe.“ Sie hob die Figur vom Tisch auf, die Kieran für sie geschnitzt hatte, und steckte sie weg. Auch wenn das Bild des Jungen noch nicht den letzten Schliff bekommen hatte, fühlte sich das Eibenholz wie glatt poliert an.
Niamh seufzte und warf ihr einen wissenden Blick zu. „Bist du in ihn verliebt?“
Iseult stützte das Kinn in die Hand. „Nicht in Davin.“ Doch ihre Freundin verstand auch ohne weitere Erklärung, wen sie meinte. „Was wirst du tun?“
Iseults Gedanken gingen zurück zu Kieran. Ihr freudloses Dasein während dieser vergangenen Wochen vertiefte noch den Schmerz, den sie empfand, wenn sie an Kieran dachte. Jeden Morgen wachte sie mit dem Wunsch auf, sein Gesicht zu sehen. Selbst wenn sie nie mehr fühlen sollte, wie er die Arme um sie schlang, so brach ihr allein die Sorge um ihn das Herz. „Es gibt nichts, das ich tun könnte. Er ist fort.“ Sie schaute Niamh an, und ihre Freundin umarmte sie.
„Vielleicht kommt er ja zu dir zurück“, meinte sie.
Iseult wagte nicht, es zu hoffen. „Vielleicht.“ Das war alles, was sie erwiderte.
Die Tür schwang in diesem Moment auf, und Davin trat in gebückter Haltung ein. Seine hellen Haare hingen ihm zerzaust auf die Schultern, und als wäre er in Eile, so hatte er sich die Kleider nur hastig übergeworfen. „Ich dachte mir, dass ich dich hier finden könnte.“
Er
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