Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
könnte?«
» Die Morde begannen vor fünfundsechzig Jahren, Herr Volz«, sagte Inga Jäger und beobachtete dabei aufmerksam sein Gesicht. » Die Opfer waren allesamt Mitglieder der Familie Wilhelm Schneiders, des Mannes, der Gretchen ermordet hat.«
» Dieser Wahnsinnige hat Hunderte von Menschen umgebracht«, sagte Emil Volz ernst, aber für Inga Jägers Begriffe eine Spur zu langsam… zu überlegt.
» Und genauso viele Hinterbliebene gibt es, die einen Grund hätten, dafür Vergeltung zu suchen. Was lässt Sie denken, ausgerechnet mein Vater hätte etwas damit zu tun? Ich meine, Sie haben selbst gesehen, in welchem Zustand er sich befindet. Er könnte keiner Fliege etwas zuleide tun.«
» Alle Hinweise deuten darauf hin, dass die Morde etwas mit Gretchens Tod zu tun haben könnten.«
» Von welchen Hinweisen sprechen Sie?«
» Die Morde fanden alle am 22. September statt, dem Datum, an dem Gretchen starb«, begann Inga Jäger aufzuzählen. » Sie wurden auf die gleiche Weise begangen, auf die man auch Gretchen hingerichtet hat– und alle im Abstand von dreizehn Jahren, dem Alter Gretchens zum Zeitpunkt ihres Todes.«
Emil Volz schaute sie sehr lange schweigend an. Dann schüttelte er ungläubig den Kopf. » Das kann nicht Ihr Ernst sein.«
» Was?«
» Jetzt soll plötzlich mein Vater das Monster sein?«
» Noch beschuldigen wir niemanden«, sagte Inga Jäger. » Wir tragen nur Informationen zusammen.«
» Das wahre Monster war Wilhelm Schneider.«
» Aber nicht seine Nachkommen«, sagte Gebert knapp. » Also, wie lange hat die Gedenkfeier für Gretchen gedauert?«
Als Inga Jäger sah, wie sich Emil Volz verkrampft zurücklehnte und die Arme vor der Brust verschränkte, wusste sie, dass er dichtgemacht hatte.
» Hören Sie«, sagte er. » Ich finde, Sie haben Ihr Willkommen in meinem Haus und meine Gastfreundschaft ausgereizt. Ich bitte Sie daher, jetzt zu gehen.«
Er erhob sich und machte eine Geste hin zur Tür.
» Wir sind noch nicht fertig«, sagte Inga Jäger.
» Doch, das sind wir«, sagte er. » Bitte gehen Sie.«
» Herr Volz…«
» Ich verweigere jede weitere Aussage«, machte er klar. » Dieses Recht habe ich doch, oder?«
» Ja, das haben Sie.«
» Gut. Dann mache ich hiermit davon Gebrauch. Leben Sie wohl.« Er wiederholte die Geste hin zur Tür, und Inga Jäger erkannte, wie aufgebracht er war. Sein Gesicht hatte eine um einige Grad dunklere Farbe angenommen.
Gebert wollte noch etwas sagen, aber Inga Jäger stand auf.
Hier würden sie vorerst nichts mehr in Erfahrung bringen.
63
» Was halten Sie davon?«, fragte Inga Jäger Kommissar Gebert, als sie wieder im Auto saßen und von dem Gretchenhof wegfuhren.
» Das sage ich Ihnen gleich«, antwortete Gebert ernst. » Ich muss das erst einmal alles verarbeiten.«
» Das kann ich nur zu gut verstehen.« Ihr ging es ganz genauso.
» Und ich möchte mit Ihnen noch woanders hinfahren– wenn das in Ordnung geht für Sie.«
» Wohin?«, fragte sie.
» Geduld«, bat er und lenkte den Wagen, als sie unten in Rüdesheim angekommen waren, nach links in Richtung Osten. » Es wird Ihnen gefallen.«
Der Weg führte sie aus der Stadt heraus auf die B42 zurück, auf der sie gekommen waren. Aber schon nach weiteren ein, zwei Kilometern fuhr Gebert nach rechts in Richtung Rhein ab und stellte den Wagen auf einen Parkplatz direkt beim Wasser.
» Wo sind wir hier?«, fragte sie.
» Kommen Sie«, sagte er in sich gekehrt und ging den asphaltierten Weg am Rheinufer entlang zurück in Richtung Westen, sich darauf verlassend, dass sie ihm folgte.
Riesige Platanen säumten den Weg, und der gewaltige Strom zu ihrer Linken lag majestätisch im Licht der beinahe schon den Zenit erreichenden Sonne.
Über das Wasser hinweg konnte Inga schräg vor sich Bingen sehen. Ein kleiner hölzerner Bootsanlegesteg schaukelte auf Pontons in den leise plätschernden Wellen. Ein kleiner Junge etwa in Tanyas Alter stand darauf und fütterte eine kleine Schar Enten mit Brotstückchen, die er zu ihnen ins Wasser warf.
Schon nach wenigen Metern erreichten sie ein kleines, fast schon unauffälliges Restaurant mit einer großen, niedrigen und überdachten Terrasse, das rechts auf der flussabgewandten Seite der Uferstraße lag. Es schien gerade erst zu öffnen, denn zwei junge, gut aussehende Griechen– scheinbar die Besitzer– rückten das Terrassenmobiliar zurecht und fegten den Eingangsbereich, über dem auf einem großen hellen Schild Bootshaus geschrieben
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