Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
stand.
Gebert lenkte seine Schritte dorthin.
» Einer meiner Lieblingsplätze hier im Rheingau«, sagte er und grüßte die beiden Inhaber freundlich. Sie grüßten mit strahlenden Gesichtern zurück. Offenbar kannte man einander.
Die Terrasse war mit leise federnden Bootsdeckplanken ausgelegt. Inga Jäger fiel auf, wie angenehm weich man darauf schritt. Sie wählten einen Tisch in der vorderen Ecke, mit freiem Blick über den Rhein.
» Hier komme ich her, wenn ich in aller Ruhe nachdenken will«, sagte Gebert und machte eine ausladende Geste. » Wasser beruhigt die Seele. Davon bin ich fest überzeugt. Wir Menschen lieben das Wasser. Der eine eher das Meer, der andere bevorzugt Seen, ich persönlich bin ein Flussmensch. Wissen Sie, was für mich das Faszinierendste an so einem Fluss ist?«
» Verraten Sie es mir.«
Er sah sie noch immer nicht an. Seine Kiefermuskeln schienen angespannt. » So ein Fluss zeigt mir immer wieder, dass– anders, als wir das glauben– Chaos und Ordnung einander überhaupt nicht ausschließen und dass alt und jung keine Gegensätze sind oder in Konkurrenz zueinander stehen.«
» Sie sprechen in Rätseln.«
» Schauen Sie hin«, sagte er ruhig. » Dieser Fluss ist uralt. Er fließt schon seit Jahrtausenden, vielleicht sogar schon seit Millionen von Jahren hier vorbei, aber jeder einzelne der unzähligen Wassertropfen, aus denen er besteht– die ihn eigentlich erst zu dem machen, was er ist–, kommt jetzt gerade zum allerersten Mal hier entlang… und ist dann gleich schon wieder weg… weitergeflossen… und wird auch nie wieder hier vorüberkommen.«
So hatte Inga Jäger das noch nie betrachtet.
» Aber was wollen Sie mir damit sagen?«, fragte sie. » Dass alles eine größere Ordnung hat, selbst das Chaos? Oder dass wir nichts weiter als Wassertropfen sind und unser Weg hier auf Erden von einer höheren Macht vorherbestimmt ist? Dass ein einzelnes Schicksal wie das von Gretchen keine große Rolle spielt im Gesamtbild des Lebens?«
» Oh nein«, wehrte er ab. » Ganz und gar nicht, Inga. Gäbe es keine einzelnen Wassertropfen, gäbe es keinen Fluss. Und Sie kennen mich inzwischen wohl gut genug, um zu wissen, dass ich etwas so Schreckliches wie das, was mit Gretchen geschehen ist, niemals herunterspielen oder herabwürdigen würde.«
» Dann verstehe ich offen gestanden nicht, worauf Sie gerade hinauswollen«, sagte sie.
» Ich auch nicht«, gab er leise zu und wandte den Blick vom Wasser weg ihr zu. » Vielleicht darauf, dass Nichtigkeiten und Wichtigkeiten manchmal ein und dasselbe sind, je nachdem, wie man sie betrachtet.«
Er seufzte.
» Im Grunde genommen möchte ich mich nur entschuldigen. Für vorhin. Ich hätte das nicht fragen dürfen.«
Es rührte sie, dass er das sagte, aber sie wusste nicht, was sie antworten sollte.
» Ich möchte nicht, dass wir, wie Sie das vorgeschlagen haben, unser Verhältnis auf einer rein professionellen Ebene halten«, fuhr er fort. » Weil ich Sie mag– und weiß, dass Sie mich mögen, und weil, was da draußen in der Welt geschieht, schon schlimm genug ist, als dass man sich auch noch streiten sollte. Ich weiß, ich bin manchmal– wahrscheinlich sogar ziemlich oft– ein recht ungehobelter Klotz, aber wenn ich mir versehentlich einen Patzer erlaube wie den vorhin, dann können Sie mir das sagen, ohne gleich…«
Jetzt war seine Stimme belegt, und er stockte.
» Schon gut«, sagte sie schnell und legte eine Hand auf seine. » Ich möchte mich ebenfalls bei Ihnen entschuldigen. Mein Verhalten war sehr viel unangemessener als das Ihre.«
Sie wurde rot. » Auf mehr als einer Ebene. Ich will, dass Sie wissen, dass ich Sie mag… und dass ich zu schätzen weiß, was Sie jetzt schon alles für mich getan haben… und auch für Tanya.«
» Also ist alles wieder gut zwischen uns?«, fragte er.
Sie nickte. » Ja, das ist es.«
Er lächelte und winkte einem der beiden jungen Griechen zu.
» Sei so lieb und bring uns doch bitte einen griechischen Vorspeisenteller für zwei und danach zweimal das Lammfilet. Sie mögen doch Lamm?«, fragte er sicherheitshalber noch einmal nach.
» Wenn Sie es empfehlen«, erwiderte sie lächelnd.
Es erleichterte sie ungemein, dass wenigstens zwischen ihnen alles wieder im Lot war.
64
Das Lamm war tatsächlich ganz ausgezeichnet, auch wenn Inga Jäger Schwierigkeiten hatte, es zu dieser relativ frühen Uhrzeit und vor allem nach dem reichhaltigen Frühstück mit Rührei und dem mehr als reichlich
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