Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
die Tür hinter sich, schlüpfte endlich aus dem inzwischen viel zu warmen Mantel, hängte ihn an den Garderobenständer und nahm dann das Gespräch entgegen, ohne sich zu setzen.
Nachdem sie einander begrüßt hatten, sagte die Rechtsmedizinerin: » Ich kann es noch nicht mit absoluter Sicherheit sagen, weil die Gewebeschäden dafür einfach zu schwer sind, aber es sieht ganz so aus, als sei das Herz nicht durch den Reifen der Lesemaschine herausgerissen worden.«
» Sondern?«
» Allem Anschein nach wurde es mit einer scharfen Klinge herausgeschnitten. Auch die Rippen weisen vereinzelt Spuren eines scharfen Gegenstands auf.«
» Demzufolge war es Mord?«, murmelte Inga Jäger.
Dr. Busch zögerte, ehe sie antwortete: » Ja und nein.«
» Ja und nein? Wie meinen Sie das?«, fragte Inga Jäger verwundert. Dann aber wurde es ihr selbst klar. » Lassen Sie mich raten: Das Herz ist post mortem entfernt worden.«
» Ja. Sämtliche Spuren am Fundort der Leiche weisen genau darauf hin«, sagte die Ärztin. » Wären die Schnitte bei noch schlagendem Herz durchgeführt worden, hätte es dort trotz des Regens wesentlich mehr Blutspuren gegeben als nur die bei und unter dem Reifen. Zum Beispiel auf der Unterseite des Laubes, zwischen den Traubenbeeren und auch an den Weinbergpfählen.«
» Also war das Entfernen des Herzens nicht die Todesursache«, fasste Inga Jäger zusammen, » aber von einem gewaltsamen Tod müssen wir dennoch ausgehen.«
» Das würde ich sagen. Ich habe nur die eigentliche Todesursache noch nicht entdeckt.«
» Haben Sie Gebert schon informiert?«
» Nein«, sagte Dr. Busch. » Ich wollte erst Sie anrufen.«
» Gut, dann übernehme ich das«, sagte Inga Jäger. » Sie suchen bitte weiter.« Sie verabschiedete sich und wählte Geberts Nummer.
» Ich wollte Sie gerade anrufen«, sagte er ohne Begrüßung. » Ich habe Neuigkeiten von der Otto.«
» Hat sie das Herz gefunden?«
» Nein. Da ist kein Herz. Nirgends. Sie haben alles abgesucht. Aber sie haben dafür etwas anderes gefunden.«
» Was?«
» Eine Kugel. 9 Millimeter.«
7
Forensisches Institut Wiesbaden. Pathologie.
» Nachdem ich erst einmal wusste, wonach ich suchen muss, hat es mich dann auch gleich förmlich angesprungen«, erklärte Dr. Bianca Busch und zeigte auf einen großen Flatscreen-Monitor, der hinter dem Obduktionstisch an der gekachelten Wand hing, während sie die kleine, gerade einmal kabelbreite Kamera über den schrecklich deformierten Schädel der Leiche führte.
Inga Jäger war nicht sicher, ob es falsch war, heute Morgen so wenig gefrühstückt zu haben, oder eher von Vorteil.
Kommissar Gebert hingegen schien völlig unbeeindruckt. Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und stand regungslos schräg hinter Dr. Busch.
» Schauen Sie sich die Kiefer an«, sagte die schlaksige Forensikerin und hielt das winzige Objektiv über die untere Schädelhälfte. » Und hier, die zerbrochenen Zähne.« Sie drückte den kleinen Auslöser mehrfach, und auf dem Monitor zeigten sich nebeneinander ebenso viele hoch auflösende Standbilder der abgelichteten Partien. » Zunächst bin ich davon ausgegangen, dass die Lesemaschine das alles angerichtet hat, als sie über die Tote hinweggerollt ist, aber inzwischen erkenne ich die Symmetrie der Frakturen.«
Sie hob das, was von dem Unterkiefer noch übrig war, an und drückte ihn gegen den Oberkiefer. Jetzt sah Inga Jäger, was sie meinte.
» Ein fast kreisrundes Loch«, fuhr Dr. Busch fort. » Nur marginal größer als ein handelsüblicher Tischtennisball. Aber ausgefranst– und die Bruchstellen der Zähne und Kieferknochen weisen eindeutig nach außen, wie Sie hier sehen. Würde das, egal in welcher Weise, vom Rad des Vollernters stammen, zum Beispiel von einem Stein, der sich im Reifenprofil festgesetzt hatte, würden sie nach innen zeigen.«
» Das ist die Austrittswunde einer Kugel großen Kalibers«, sagte Inga Jäger.
» Ja«, bestätigte die Pathologin. » Und wie Sie sehen, ist sie, wie ich bereits sagte, nur fast kreisrund. Bei genauerer Betrachtung nämlich zeigt es sich, sie ist nach unten hin leicht elliptisch ausgeformt.«
» Das bedeutet?«
» Das heißt, dem Opfer wurde aus leicht erhöhter Position in den Hinterkopf geschossen«, erklärte Dr. Busch. » Vielleicht fünfundzwanzig, maximal aber dreißig Grad.«
» Lässt sich daraus vielleicht die Größe des Täters ableiten?«, fragte Gebert.
» Nein«, antwortete Dr. Busch. » Wir können
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