Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
amüsiert, so als hätte Gebert ihr gerade ein Kompliment gemacht.
» 9-Millimeter-Patronen sind die am meisten verbreiteten Patronen der Welt, du Klugscheißer«, sagte sie schroff herausfordernd. » Nicht Wiesbaden, nicht Rhein-Main-Gebiet, nicht Hessen und nicht Deutschland. Welt. Globus. Erde.«
» Was willst du mir damit sagen?«
» Was ich dir damit sagen will? Bei unseren armseligen Rechnerkapazitäten kannst du von Glück reden, wenn ich bis zum Ende der Woche überhaupt herausgefunden habe, aus welcher Art von Waffe sie abgeschossen wurde. Das will ich dir damit sagen.«
Inga Jäger wusste aus der Zeit, in der sie die Banden der Hamburger Szene bearbeitet hatte, dass eine 9-Millimeter nahezu immer anonym blieb. So eine Kugel konnte einfach von zu vielen Faustfeuerwaffen abgefeuert werden, sogar von einigen Maschinenpistolen.
» Am Tatort wurde keine Patronenhülse gefunden«, sagte sie sinnierend. » Das könnte darauf hinweisen, dass der Täter einen Revolver benutzt hat, denn bei einem Revolver verbleiben die abgeschossenen Hülsen in der Trommel, während sie bei einer Pistole automatisch ausgeworfen werden.«
» Das muss nichts bedeuten«, widersprach Elli Falkenstein. » Nein, muss es nicht. Muss nicht. Gar nichts. Kann genauso gut sein, dass der Täter die Patronenhülse aufgelesen und mitgenommen hat. Ein Fehler, den viele Mörder früher machten: Sie trugen bei der Tat Handschuhe, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, auch nicht auf der Tatwaffe, dachten aber nicht daran, sich bereits Handschuhe anzuziehen, als sie das Magazin der Waffe luden. Darum befanden sich Teilabdrücke auf den Patronen, zumeist vom Daumen, und wenn sie die leeren Hülsen am Tatort zurückließen, was die Amateure damals immer taten, waren sie schnell überführt. Aber unsere Kunden sehen fern und wissen heutzutage, dass sie diesen Fehler nicht begehen dürfen, und deshalb sammeln sie die leeren Hülsen auf. Wie die Profikiller im Abendprogramm. Ja, ja, fernsehen bildet.« Sie sah Inga Jäger missmutig an. » Sollten Sie auch mal probieren. Kommen also nicht nur Revolver infrage. Kommt alles Mögliche infrage. Verstehen Sie, Frau Oberschlau?«
» Du schaffst das schon«, sagte Gebert trotzdem, und Inga Jäger sah den Anflug eines geschmeichelten Rotwerdens auf Elli Falkensteins Wangen.
» Natürlich schaffe ich das«, sagte sie. » Wenn sie im System ist, finde ich sie. Ich finde alles, was im System ist. Alles. Es dauert eben nur. Dauert.«
Da klingelte ein Handy, und automatisch fassten sie alle vier nach ihren Taschen.
Es war Ellis Telefon.
Sie meldete sich und hörte dann gespannt zu. Schließlich nickte sie einmal und sagte: » Danke sehr. Schicken Sie mir die Daten bitte auch noch einmal per E-Mail. Und das Ordnungsamt soll die aktuelle Adresse ermitteln. Unverzüglich.« Sie beendete das kurze Gespräch und steckte das Handy wieder in die Tasche ihres Laborkittels. Dann schaute sie in die Runde– so fest sie das mit ihren nervösen Augen überhaupt konnte. » Das war das Standesamt Wiesbaden«, sagte sie. » Im Rheingau hat es keinen Treffer gegeben, also habe ich die Suche erweitert.«
» Sie haben den Namen unserer Toten?«, fragte Inga Jäger.
Elli Falkenstein nickte.
8
Zehn Minuten später fuhren Inga Jäger und Kommissar Gebert in seinem Wagen auf der A66 in Richtung Frankfurt. Obwohl es inzwischen später Vormittag war, herrschte auf der dreispurigen Autobahn dichter Verkehr. Es hatte der Jahreszeit entsprechend zu nieseln begonnen, und Gebert hatte die Scheibenwischer auf ein niedriges Intervall gestellt, das in den langen Pausen für Inga Jägers Geschmack immer zu viel Regen auf der Windschutzscheibe ansammeln ließ, sodass sie kaum etwas sehen konnte. Sie fühlte sich auch so schon grundsätzlich nicht wohl auf einem Beifahrersitz und wünschte jetzt, sie wären mit ihrem Wagen gefahren.
Es war Geberts offizieller Dienstwagen, und trotzdem sah der Innenraum aus wie bei einem typischen männlichen Single– fast schon klischeehaft: bis zum Überquellen voller Aschenbecher und auf der Rückbank eine ganze Batterie zerknüllter Zigarettenpäckchen, leere Softdrinkflaschen und McDonald’s-Tüten. Entsprechend roch es auch, und das feuchte Klima machte es nicht besser. Aber wenigstens waren die Vordersitze sauber und der Fußraum davor leer, und es baumelte kein nach Chemie stinkendes Duftbäumchen vom Rückspiegel.
Im krassen Kontrast zu der Unordnung sprudelte aus den Lautsprechern der
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