Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
nicht sagen, ob das Opfer gestanden, gekniet, gesessen oder gelegen oder wie der Täter die Pistole gehalten hat. Nehmen wir aber einmal an, sie hat gesessen: Vielleicht hat er aus der Hüfte geschossen, dann wäre er eher groß, aber es besteht durchaus die Möglichkeit, dass er die Waffe mit nach oben gewinkelten Ellbogen gehalten hat, dann wäre er eher klein.«
» Oder sie«, warf Inga Jäger ein.
» Ja, natürlich«, stimmte Dr. Busch zu. » Es gibt keinerlei schlüssige Hinweise darauf, dass der Täter männlichen Geschlechts ist.«
Sie führte die Kamera nun herum auf die Rückseite des Schädels. Dort war er geknackt wie eine Walnuss. » Die meisten Schäden stammen natürlich auch hier von der Lesemaschine, aber schauen Sie dort. Es ist zunächst nicht leicht zu erkennen.«
Inga Jäger zwang sich dazu, genauer hinzusehen. Die Vergrößerung auf dem Monitor half dabei sehr.
» Hier, an dem langen Riss auf der linken Seite«, erkannte sie und berührte den Monitor an der Stelle mit ihrem Finger.
» Ja«, sagte Dr. Busch. » Eine viertelkreisrunde Aussparung. Genau da ist die Kugel eingetreten.«
» Eine Hinrichtung!«, fiepte da eine aufgeregte Stimme hinter ihnen. » Eine verfluchte Hinrichtung war das, Scheiße noch eins!«
Es war Elli Falkenstein.
Sie hielt die dreckverkrustete Hose der Leiche in den behandschuhten Händen. » Nachdem Dr. Busch mir von ihrer Entdeckung berichtet hat, habe ich auch die Kleidung entsprechend noch einmal genauer unter die Lupe genommen. Hier: An den Knien ist der Schlamm am dichtesten und noch tiefer in das Gewebe gepresst als an den anderen Stellen.«
» Wer immer sie erschossen hat, hat sie also dazu gezwungen, sich vorher hinzuknien«, erkannte Inga Jäger.
» Und ihr danach das verdammte Herz herausgeschnitten«, fluchte Gebert. Von seiner vorhin noch ausgestrahlten Fassung war nicht mehr viel übrig. Die Tötungsart ging ihm ganz offenbar nahe.
» Das kann ich, wie ich am Telefon ja bereits sagte, inzwischen mit Sicherheit bestätigen«, fügte Dr. Busch hinzu. » Die Untersuchung unter dem Mikroskop zeigt einwandfrei: Die Trennstrukturen an Schlüsselbeinarterie und Lungenvene stammen eindeutig von einer scharfen Metallklinge.«
» Hm«, machte Inga Jäger, und die drei anderen sahen sie erwartungsvoll an. » Das passt nicht zusammen«, fasste sie in Worte, was sie empfand.
» Was meinen Sie?«, fragte Dr. Busch.
» Die Widersprüchlichkeit der Vorgehensweise«, sagte Inga Jäger.
» Widersprüchlichkeit?«, fragte Gebert.
» Ja. Zunächst wird sie eiskalt und berechnet hingerichtet. Der Täter nimmt sich sogar die Zeit, sie dazu zu zwingen, sich hinzuknien. Dann aber schneidet er– oder sie– ihr das Herz heraus. Das eine ist komplett systematisch, das andere spricht psychologisch und auch philosophisch für eine große, tief sitzende Leidenschaft. Der Täter will sie damit demütigen, sie ihres Inneren, ihrer Seele berauben, ihrer Menschlichkeit.«
Gebert zuckte mit den breiten Schultern. » Vielleicht will er auch einfach nur ein Andenken.«
» Oder er hat einen Herzfetisch«, warf Elli Falkenstein ein.
Inga Jäger schaute sie fragend an.
Die kleine Kriminaltechnikerin schnaubte ungeduldig, so als ob doch auf der Hand läge, was sie sagen wollte, ohne dass sie es erst aussprechen musste. Aber Inga Jäger konnte sich wirklich nicht vorstellen, worauf sie hinauswollte, und machte eine entsprechend auffordernde Geste, fortzufahren.
Elli seufzte und runzelte die Stirn, ehe sie zu erklären begann. » Im Laufe der Menschheitsgeschichte gab es zahlreiche Kulturen, in denen man Feinden oder auch verstorbenen Verwandten das Herz herausgeschnitten und dann gegessen hat.«
» Gegessen?«, fragte Gebert ungläubig.
» Gegessen«, bestätigte Elli Falkenstein. » Bei Feinden entweder, um sie damit vollständig zu vernichten oder aber um sich ihre Kräfte anzueignen. Man braucht dazu nur verdammt gute Zähne… so ein Herz muss verdammt lange kochen, damit es mürbe genug wird, dass man es gut kauen kann.«
Inga Jäger musste würgen, und auch Gebert verzog angewidert das Gesicht, dann fragte er die kleine Kriminaltechnikerin: » Hast du schon was zu der Kugel?«
» Machst du Witze?«, fragte Elli zurück. » Natürlich machst du Witze. Machst du ja immer.«
» Siehst du mich etwa lachen, Rumpelstilzchen?«
Inga Jäger zuckte wegen seiner Anspielung auf Ellis Gestalt instinktiv zusammen, aber die kleine Autistin legte nur den Kopf schräg und grinste
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