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Ihr wahrer Name

Ihr wahrer Name

Titel: Ihr wahrer Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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Samos ist doch etwas ganz anderes als Neapel«, sagte die amerikanische Romanschriftstellerin, die »Tante Janet«, die dem widerstrebenden Paolo ein paar Minuten zuvor einen Gutenachtkuß gegeben hatte. »Es ist typisch amerikanisch, das Leben hier als so viel besser zu sehen, wenn man das in Europa nicht kennt. Amerika muß in allem die Nummer eins sein, sogar in puncto saubere Gewässer. In Europa legt man viel mehr Wert auf ein ganzheitliches Dasein.« »Das heißt also, wenn ein deutsches Unternehmen zum größten amerikanischen Verlag wird oder eine Schweizer Gesellschaft Chicagos größten Versicherer aufkauft, hat das eigentlich nichts mit Marktbeherrschung zu tun?« fragte ich. »Dann ist das lediglich das Nebenprodukt eines ganzheitlichen Daseins?«
    Der Banker lachte, während Rossy, der sich gerade mit einer anderen, weniger auffälligen Krawatte wieder zu uns gesellt hatte, sagte: »Vielleicht hätte Janet es so ausdrücken sollen: Europäer verbrämen ihr Interesse an Medaillen und Siegen mit dem Mäntelchen der Kultur. Dort ist es schlechter Stil, sich mit seinen Leistungen zu brüsten - sie sollten eher zufällig zutage treten, im Rahmen eines Gesprächs über ein völlig anderes Thema.«
    »Wogegen Amerikaner erklärte Prahlhänse sind«, meinte die Romanschriftstellerin. »Wir sind reich, wir sind mächtig, alle müssen sich unserer Art, die Dinge anzupacken, beugen.« Da servierte Irina eine milchig-braune Pilzsuppe mit einem Sahnehäubchen in Form eines Pilzhutes. Sie war eine schweigsame, tüchtige Frau, von der ich gedacht hatte, sie sei zusammen mit den Rossys aus der Schweiz gekommen, bis ich merkte, daß Fillida und Rossy sich mit ihr immer auf englisch unterhielten.
    Das Tischgespräch drehte sich in italienischer Sprache noch ein paar Minuten um die Mängel amerikanischer Macht und amerikanischer Manieren. Ich spürte, wie sich mir die Nackenhaare aufstellten: Es gehört zu den merkwürdigen Dingen, daß niemand es gern hört, wenn die Familie von Außenstehenden kritisiert wird, selbst wenn diese Familie aus lauter Wahnsinnigen und Rüpeln besteht.
    »Dann ging's also bei der heutigen Abstimmung in der Legislative von Illinois nicht darum, den Familien der Holocaust-Opfer die Auszahlung von Lebensversicherungen vorzuenthalten, sondern darum, Amerika daran zu hindern, daß es Europa seine Maßstäbe aufzwingt?« fragte ich.
    Der Kulturattache beugte sich über den Tisch zu mir vor. »In gewisser Hinsicht ja, Signora. Dieser schwarze Berater - wie heißt er doch gleich, Dur'am? - hat meiner Ansicht nach durchaus ein stichhaltiges Argument. Die Amerikaner verurteilen gern Dinge, die außerhalb ihres eigenen Landes geschehen -zum Beispiel die Greueltaten des Krieges, die wirklich furchtbar waren, das bestreitet niemand -, aber dieselben Amerikaner sind nicht bereit, ganz ähnliche Greueltaten in ihrem Land, deren Opfer Indianer und afrikanische Sklaven geworden sind, genauer unter die Lupe zu nehmen.«
    Das Hausmädchen räumte die Suppenteller ab und servierte gebratene Kalbslende mit verschiedenen Gemüsen. Die Teller waren aus cremefarbenem Porzellan, hatten einen dicken Goldrand und ein großes »H« in der Mitte - vielleicht stand das für Fillida Rossys Mädchennamen, obwohl mir auf Anhieb keine italienischen Namen einfielen, die mit »H« begannen.
    Laura Bugatti sagte, trotz des Mafia-Terrors in Italien oder Rußland ließen sich die meisten europäischen Leser lieber von amerikanischer Gewalt schockieren als von der im eigenen Land. »Das stimmt«, meldete sich die Frau des Bankers zum erstenmal zu Wort. »Meine Familie weigert sich, über Gewalttaten in Zürich zu sprechen, aber sie fragt mich die ganze Zeit über Morde in Chicago aus. Können Sie das jetzt, wo der Mord im Unternehmen Ihres Mannes passiert ist, bestätigen, Fillida?«
    Fillida strich mit den Fingern über die filigranen Applikationen an ihrem Messer. Sie aß sehr wenig, das fiel mir auf - kein Wunder, daß ihr Brustbein herausstand. »D'accordo. Eine Zeitung in Bologna hat über diesen Mord berichtet, wahrscheinlich weil dort bekannt ist, daß ich hier lebe. Seitdem ruft meine Mutter jeden Morgen an und verlangt, daß ich Paolo und Marguerita nach Italien zurückschicke, wo sie ihrer Meinung nach in Sicherheit sind. Da nützt es nichts, wenn ich ihr sage, daß der Mord mehr als dreißig Kilometer von meinem Haus entfernt passiert ist, in einem ausgesprochen üblen Viertel der Stadt, wie man es sicher auch in Mailand

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