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Ihr wahrer Name

Ihr wahrer Name

Titel: Ihr wahrer Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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daß Morrell sich zu uns gesellte und sie auf einen Drink hereinbat.
    »Irgendwas Starkes, Absinth zum Beispiel«, sagte Carl. »Ich hab' mir immer eine große Familie gewünscht, aber nach der Heulerei heute abend glaube ich, daß mir nicht viel entgangen ist. Wie kann eine einzelne kleine Stimme nur mehr Lärm erzeugen als die gesamten Blechbläser eines Orchesters?«
    »Daran ist der Jetlag schuld«, sagte Max. »Die Kleinen erwischt's immer am schlimmsten.« Don gab uns ein Zeichen, daß wir still sein sollten. »Jetzt geht der Bericht über die Konferenz los.« Max und Carl gingen ins Wohnzimmer und stellten sich hinter die Couch. Don drehte lauter, als Beth Blacksins elfenhaftes Gesicht auf dem Bildschirm erschien.
    »Als die Baptisten aus dem Süden ihr Vorhaben verkündeten, diesen Sommer im Rahmen ihres Plans, die Juden zum Christentum zu bekehren, hunderttausend Missionare nach Chicago zu schicken, reagierten viele Leute besorgt, aber die Birnbaum Foundation handelte. In Zusammenarbeit mit der Illinois Holocaust Commission, der römisch-katholischen Erzdiözese von Chicago und Dialogue, einer überkonfessionellen Gruppe hier in Chicago, beschloß die Stiftung, eine Konferenz über Themen abzuhalten, die nicht nur die umfangreiche jüdische Bevölkerung von Illinois betreffen, sondern die jüdische Gemeinde in Amerika als ganze. Und so lautete der Titel der heutigen Konferenz: >Christen und Juden: ein neues Millennium, ein neuer Dialog<. In manchen Augenblicken konnte man jedoch den Eindruck gewinnen, daß es den Teilnehmern am allerwenigsten um einen Dialog ging.« Nun waren Bilder von der Demonstration vor dem Hotel zu sehen. Gleich lange Ausschnitte aus Posners und Durhams Reden wurden eingespielt, dann waren wir wieder im Tanzsaal des Hotels bei Beth Black-sin.
    »Auch die Sitzungen im Hotel wurden bisweilen ziemlich hitzig. Die lebhafteste befaßte sich mit genau dem Thema, das zu den Demonstrationen gegen den geplanten Illinois Holocaust Asset Recovery Act geführt hat. Eine Diskussion mit Vertretern von Banken und Versicherungen, die behaupteten, ein solches Gesetz würde so kostspielig werden, daß alle Kunden darunter zu leiden hätten, rief heftige Kritik hervor und hatte mehrere bedrückende Szenen zur Folge.« Jetzt waren auf dem Bildschirm aufgebrachte Menschen zu sehen, die in die in den Zwischengängen für eventuelle Fragen aufgestellten Mikrophone riefen. Ein Mann gab genau das von sich, was ich sowohl von Margaret Sommers als auch von Alderman Durham bereits gehört beziehungsweise gelesen hatte: daß die Debatte um die Entschädigungszahlungen nur wieder die Geldgier der Juden beweise.
    Ein anderer Mann brüllte zurück, er begreife nicht, warum immer die Rede von der Geldgier der Juden sei, wenn sie doch nur das Geld von den Konten wiederhaben wollten, das ihre Familien dort eingezahlt hätten: »Warum wirft man nicht den Banken Geldgier vor? Schließlich haben sie das Geld sechzig Jahre lang nicht herausgerückt, und jetzt wollen sie's ganz behalten.« Eine Frau trat vor eins der Mikrophone und erklärte, nach dem Erwerb der Ajax durch den Schweizer Rückversicherer Edelweiß habe die Edelweiß wohl ihre eigenen Gründe für ihren Widerstand gegen das neue Gesetz.
    "Wir durften das Durcheinander ungefähr zwanzig Sekunden lang mitverfolgen, dann meldete sich Beth Blacksin wieder zu Wort. »Der verblüffendste Vorfall des Tages ereignete sich allerdings nicht beim Thema Versicherungen, sondern bei einer Diskussion über Zwangsbekehrung, als ein kleiner, erstaunlicher Mann eine außergewöhnliche Eröffnung machte.«
    Wir sahen, wie ein Mann mit einem Anzug, der ihm eine Nummer zu groß zu sein schien, in eins der Gangmikrophone sprach. Er war Ende Fünfzig und hatte ergrauende Locken, die an den Schläfen bereits schütter wurden.
    »Ich möchte folgendes sagen: Ich weiß erst seit kurzem, daß ich Jude bin.« Eine Stimme vom Podium bat ihn, seinen Namen zu nennen.
    »Oh. Ich heiße Paul, Paul Radbuka. Ich bin nach dem Krieg im Alter von vier Jahren von einem Mann hierhergebracht worden, der sich als mein Vater ausgegeben hat.« Max holte deutlich hörbar Luft, und Carl rief aus: »Was! Wer ist der Mann?« Don und Morrell sahen ihn erstaunt an. »Kennst du ihn?« fragte ich.
    Max drückte mein Handgelenk, um mich zum Schweigen zu bringen, während der kleine Mann auf dem Bildschirm weitersprach: »Er hat mir alles genommen, besonders meine Erinnerungen. Erst vor kurzem habe ich erfahren,

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