Ihr wahrer Name
daß ich den Krieg in Terezin verbrachte, dem Konzentrationslager, das die Deutschen Theresienstadt nannten. Ich dachte, ich sei Deutscher und evangelisch, genau wie Ulf der Mann, der sich als mein Vater ausgegeben hat. Erst als ich nach seinem Tod seine Papiere durchgegangen bin, habe ich die Wahrheit herausgefunden. Ich sage, es ist falsch, ja, ein Verbrechen, Menschen die Identität wegzunehmen, die dem Recht nach ihnen gehört.«
Es herrschte ein paar Sekunden lang Stille, bevor Dennis Logan und Beth Blacksin auf dem in zwei Hälften geteilten Bildschirm erschienen. »Das ist wirklich eine außergewöhnliche Geschichte, Beth. Sie haben nach der Diskussion mit Mr. Radbuka gesprochen, stimmt's? Wir zeigen dieses Exklusivinterview mit Paul Radbuka nach unseren Nachrichten. Und jetzt berichten wir für die Fans, die geglaubt haben, daß die Cubs nicht mehr tiefer sinken könnten, aus dem Wrigley-Field-Stadion über eine weitere Niederlage ihrer Mannschaft.«
4
Gelenkte Erinnerung
»Kennen Sie ihn?« fragte Don Max und stellte den Ton wieder leiser, als eine weitere Werbepause begann.
Max schüttelte den Kopf. »Ich kenne den Namen, aber nicht diesen Mann. Es ist nur... der Name ist ziemlich ungewöhnlich.« Er wandte sich Morrell zu. »Darf ich mich aufdrängen und mir noch das Interview ansehen?«
Genau wie Max war Carl ein wenig kleiner als ich, doch während Max der Welt mit einem gutmütigen Lächeln begegnete -oft amüsierte ihn das Treiben der Menschen auch nur -, gab sich Carl ständig wachsam wie ein kampflustiger Hahn. Im Augenblick wirkte er noch nervöser als sonst. Ich musterte ihn, beschloß aber, ihm in Gegenwart von Don und Morrell keine Fragen zu stellen.
Morrell brachte Max Kräutertee und schenkte Carl einen Brandy ein. Endlich war der ausführliche Wetterbericht im Fernsehen zu Ende, und Beth Blacksin erschien wieder auf dem Bildschirm. Sie unterhielt sich in einem kleinen Konferenzzimmer des Hotels Pleiades mit Paul Radbuka. Bei ihnen war eine weitere Frau, deren ovales Gesicht von einer schwarzen Mähne umrahmt wurde. Beth Blacksin stellte sich selbst und Paul Radbuka vor, dann schwenkte die Kamera auf die andere Frau. »Heute abend bei uns zu Gast ist auch Rhea Wiell, die Therapeutin, die Mr. Radbuka behandelt und ihm geholfen hat, verschüttete Erinnerungen freizulegen. Ms. Wiell hat sich bereit erklärt, sich später noch in einer Sondersendung der Reihe >Auf den Straßen von Chicago< mit mir zu unterhalten.«
Nun wandte Beth Blacksin sich dem kleingewachsenen Mann zu. »Mr. Radbuka, wie kam es, daß Sie Ihre wahre Identität entdeckten? Sie haben auf der Konferenz gesagt, Sie hätten die Papiere Ihres Vaters durchgesehen. Was haben Sie darin gefunden?«
»Des Mannes, der sich als mein Vater ausgegeben hat«, berichtigte Radbuka sie. »Es handelt sich dabei um kodierte Schriften. Anfangs habe ich ihnen überhaupt keine Beachtung geschenkt. Nach seinem Tod habe ich jeglichen Lebenswillen verloren. Ich verstehe selbst nicht warum, denn ich mochte ihn nicht; er war immer sehr brutal zu mir. Aber ich bin in solche Depressionen verfallen, daß ich meine Arbeit verloren habe. An manchen Tagen bin ich nicht mal mehr aus dem Bett aufgestanden. Und dann habe ich Rhea Wiell kennengelernt.«
Er sah die schwarzhaarige Frau voller Bewunderung an. »Es mag melodramatisch klingen, aber ich bin der festen Überzeugung, daß ich ihr mein Leben verdanke. Außerdem hat sie mir geholfen, Sinn in die Schriften zu bringen und meine fehlende Identität aufzuspüren.« »Rhea Wiell ist Ihre Therapeutin«, sagte Beth.
»Ja. Sie hat sich auf die Freilegung von Erinnerungen spezialisiert, die Menschen wie ich ausblenden, weil sich mit ihnen ein schweres Trauma verbindet.«
Er sah weiter Rhea Wiell an, die ihm aufmunternd zunickte. Beth Blacksin brachte ihn dazu, von den quälenden Alpträumen zu erzählen, über die er aus Scham fünfzig Jahre lang geschwiegen hatte, und von der allmählich dämmernden Erkenntnis, daß der Mann, der sich als sein Vater ausgegeben hatte, möglicherweise in Wirklichkeit überhaupt nicht mit ihm verwandt gewesen war. »Wir waren nach dem Zweiten Weltkrieg als Vertriebene nach Amerika gekommen. Ich war damals erst vier. Als ich größer wurde, hat dieser Mann mir gesagt, wir seien aus Deutschland.«
Zwischen den Sätzen rang er um Luft wie ein Asthmatiker. »Aber durch meine Arbeit mit Rhea habe ich erfahren, daß seine Geschichte nur zur Hälfte stimmte. Nur er war aus
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