Ihr wahrer Name
sein. Warum hält dieser Mann sie für seine Retterin? Glaubt er, in dem Kinderheim in Hampstead gewesen zu sein?« Wir schüttelten alle verwirrt den Kopf.
»Und was ist mit denen?« Ich schob ihnen die Bücher von Ulf Hoffman hin. »Ulf«, sagte Max mit Blick auf die abblätternden Goldlettern des Namens. »Wie dumm von mir, nicht daran zu denken, daß das viel öfter ein Vor- als ein Nachname ist. Kein Wunder, daß du ihn nicht finden konntest. Was ist das?«
»Ich glaube, sie haben etwas mit Versicherungen zu tun«, sagte ich, »aber ihr seht ja, daß Paul diese Unterlagen in die Mappe mit den Sachen über Einsatzgruppenführer Ulf Hoffman getan hat. Da sie sich in seiner Geheimkammer befunden haben, gehe ich davon aus, daß sie ihn von seiner Radbuka-Identität überzeugt haben, obwohl ich das auch nicht so recht verstehe. Ich habe diese Dokumente einer jungen Historikerin gezeigt, die im Ajax-Archiv gearbeitet hat. Ihrer Meinung nach sehen sie aus wie Belege einer jüdischen Organisation. Wäre das möglich?«
Max nahm das zweite Buch in die Hand und musterte es genauer. »Ist schon lange her, daß ich das letzte Mal versucht habe, die alte deutsche Schrift zu lesen. Ich glaube, das sind Adressen. Es könnte sich um eine jüdische Wohltätigkeitsvereinigung handeln. Eine Liste mit Namen und Adressen - vielleicht haben alle Angehörigen der Gruppe zusammen Versicherungen abgeschlossen. Die anderen Zahlen verstehe ich allerdings nicht. Es könnte natürlich sein, daß deine Historikerin recht hat: Vielleicht hat S. Radbuka fünfundsechzig Menschen mitgebracht und K. Omschutz vierundfünzig.« Doch dann schüttelte er, unzufrieden über diese Erklärung, den Kopf und wandte sich wieder den Büchern zu. »>Schrey<. In welcher Stadt gibt es eine Straße, die... Ach, Johann Nestroy, der österreichische Schriftsteller. Geht's hier um Wien, Lotty? Ich erinnere mich weder an eine Nestroy- noch an eine Schreygasse.«
Plötzlich wurde Lotty ganz blaß und nahm Max das Buch mit zitternden Fingern aus der Hand. Sie sah die Stelle an, auf die er deutete, folgte den Zeilen, las die Namen mit leiser Stimme vor. »Wien? Ja, das müßte Wien sein. Leopoldsgasse, Untere Augartenstraße. Erinnerst du dich nicht an diese Straßen? Wohin ist deine Familie nach dem Anschluß vertrieben worden?« krächzte sie. »Wir haben am Bauernmarkt gewohnt«, sagte Max.« Uns hat man seinerzeit nicht zwangsumgesiedelt; dafür haben sie drei uns unbekannte Familien in unserer Wohnung untergebracht. Ich wollte mir diese Straßennamen nicht auf ewig merken. Es wundert mich, daß du sie noch im Kopf hast.«
Seine Stimme klang bedeutungsschwer. Lotty bedachte ihn mit einem grimmigen Blick. Ich mischte mich hastig ein, bevor sie einen Streit beginnen konnten.
»Das hier sieht genauso aus wie das Papier und die Schrift von dem Blatt, das ich in der Tasche des ermordeten Versicherungsagenten von der South Side gefunden habe. Deswegen vermute ich auch, daß es sich bei denen hier um Versicherungsdokumente handelt. Der frühere Agent hieß Al Hoff-man, und ich würde wetten, daß er Pauls Vater, Ziehvater oder was auch immer - war. Könnte Al eine Abkürzung von Ulf sein?«
»Ja, warum nicht?« Max sah mich mit einem ironischen Lächeln an. »Wenn er sich hier in Amerika so schnell wie möglich anpassen wollte, hat er sich bestimmt einen Namen ausgesucht, den alle besser aussprechen konnten als >Ulf<.«
»Und als Versicherungsvertreter war er sicher besonders interessiert daran, nicht weiter aufzufallen«, sagte ich.
»Ja, ich glaube tatsächlich, daß das ein Versicherungsbuch ist.« Carl hatte eine Seite voller Namen und Daten mit Haken dahinter aufgeschlagen, ganz ähnlich dem Blatt aus Fepples Büro. »Hat deine Familie die Versicherungsbeiträge nicht so gezahlt, Loewenthal? Der Vertreter ist jeden Freitag auf dem Fahrrad ins Getto gekommen; mein Vater und alle anderen Männer haben ihre zwanzig oder dreißig Korunas gezahlt, und der Vertreter hat sie in seinem Buch abgehakt. Na ja, du und Lotty, ihr wart ja aus dem gehobenen Bürgertum. Diese wöchentlichen Zahlungen galten nur für Leute mit geringem Einkommen. Mein Vater hat es furchtbar erniedrigend gefunden, daß er es sich nicht leisten konnte, in ein Büro zu fahren und sein Geld ganz offiziell einzuzahlen wie ein Mann, der etwas wert ist. Er hat immer mich runter auf die Straße geschickt mit den in Zeitungspapier eingewickelten Münzen.« Carl ging die Seiten mit der
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