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Ihr wahrer Name

Ihr wahrer Name

Titel: Ihr wahrer Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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leise.
    Ich versuchte mich zu erinnern, wie Paul den Namen ausgesprochen hatte. »Ja, das könnte sein. Ist sie Deutsche? Kennst du sie?«
    »Ilse Koch, bekannt als die Wölfin. Eine der schlimmsten Bestien im Konzentrationslager. Wenn der arme Teufel tatsächlich glaubt, sie hätte ihn angeschossen... Diese Geschichte würde ich gern einem Psychologen erzählen - der Schrein, seine zwanghafte Beschäftigung mit dem Holocaust. Wahrscheinlich läßt er außer dieser Rhea Wiell niemanden an sich ran. Ich persönlich würde sagen, es ist nicht mal so sicher, ob überhaupt eine Frau auf ihn geschossen hat. Ich kenne mich nicht gut genug aus mit Wahnvorstellungen; vielleicht verwechselt er ja tatsächlich einen Angreifer mit einem SS-Mann, aber den Unterschied zwischen einem Mann und einer Frau würde er doch noch kennen, oder? Was meinst du, Lotty?«
    Lotty schüttelte den Kopf. Jetzt wirkte ihr Gesicht wieder angespannter. »Mit solch pathologischen Verhaltensweisen kann ich nichts anfangen. Wir wissen ja nur, daß er sich seit einer Woche einredet, mit dir verwandt zu sein. Aber immerhin hält er dich noch nicht für eine Frau.« Max wurde unruhig. »In welches Krankenhaus, hast du gesagt, wollten sie ihn bringen? Ins Compassionate Heart? Ich könnte jemanden hinschicken - er sehnt sich so nach einem Zuhörer, daß er sich vielleicht mit einem Arzt unterhält.«
    »Aber dieser Arzt dürfte dir nicht verraten, was Paul ihm möglicherweise sagt«, erklärte Lotty sofort. »Du kannst nicht jemanden dazu anhalten, das Arztgeheimnis zu verletzen.«
    Max wirkte schuldbewußt: Er hatte ganz offensichtlich vorgehabt, einen Freund vom Beth Israel in das Krankenhaus zu schicken und ihn um genau das zu bitten.
    »Aber was ist so Interessantes an den Büchern, daß er sie geheimhält?« fragte Carl. »Läßt sich aus ihnen schließen, warum auf ihn geschossen wurde?«
    Ich holte die Mappe aus meiner Aktentasche. Das Bild von der Frau hatte ich völlig vergessen. Ich legte es vor die drei auf das Beistelltischchen.
    »Seine >Retterin in England< hat er dazugeschrieben«, sagte ich. »Ich frage mich... kennt irgend jemand von euch die Frau?«
    Carl betrachtete stirnrunzelnd das dunkle, traurige Gesicht. »London«, sagte er dann. »Ich weiß nicht mehr, wer, nur, daß es lange her ist, vielleicht während des Krieges oder gleich danach.« »Es hing inmitten des Schreins für die Therapeutin, die er so verehrt, an der Wand?« fragte Lotty mit merkwürdig hoher Stimme. »Weißt du, wer sie ist?« erkundigte ich mich.
    Lotty machte ein ernstes Gesicht. »Ja, und ich kann euch sogar das Buch zeigen, in dem er dieses Bild gefunden hat, wenn es hier bei Max im Regal steht. Aber warum...«
    Dann stand sie plötzlich auf, rannte aus dem Zimmer und leichtfüßig wie immer die Treppe hinauf. Max sah das Bild an. »Mir sagt das Gesicht nichts. Das ist doch nicht die Ärztin, die Lotty als Teenager so verehrt hat, oder?«
    Carl schüttelte den Kopf. »Ciaire Tallmadge war blond, die personifizierte englische Rose. Meiner Meinung nach war das immer mit ein Grund für Lottys Verehrung. Mich hat es fuchsteufelswild gemacht, daß Lotty es sich gefallen ließ, wenn die Familie sie >das kleine Äffchen< nannte. Victoria, zeig uns doch mal die Bücher, die du mitgebracht hast.«
    Ich reichte ihnen die Mappe. Max und Carl wichen zurück, als sie das verschmierte Gesicht auf dem Umschlag sahen. »Wer ist denn das?« fragte Carl.
    »Pauls Vater«, sagte ich. »Paul hatte jede Menge Fotos von ihm in der geheimen Kammer, alle genauso verunstaltet. Das Blut ist allerdings erst drangekommen, als ich das Buch mitgenommen habe.«
    Nun kehrte Lotty mit einem Buch zurück, das sie beim Bildteil aufschlug. »Anna Freud.« Wir sahen alle zuerst das Bild aus Pauls Kammer an und dann das identische aus dem Buch. Schließlich sagte Carl: »Ja, natürlich. Du hast mich zu ihren Vorträgen mitgenommen, aber damals hat sie anders ausgesehen - das hier ist ein so privates Bild.«
    »Sie war aus Wien geflohen, genau wie wir«, erklärte Lotty. »Und ich habe sie maßlos bewundert. Ich habe sogar ehrenamtlich in dem Kinderheim gearbeitet, das sie während des Krieges in Hampstead geführt hat, habe Teller gespült und andere Sachen gemacht, die man als ungelernter Teenager tun kann. Minna hat das natürlich nicht gepaßt, aber egal. Eine Weile dachte ich, ich würde in Anna Freuds Fußstapfen treten und selbst Psychoanalytikerin werden, aber... auch das soll euch egal

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