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Ihr wahrer Name

Ihr wahrer Name

Titel: Ihr wahrer Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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freigelegten Erinnerungen eigentlich handelte. Rhea Wiell erläuterte kurz das Phänomen der posttraumatischen Störung und erklärte, es gebe eine Reihe von Symptomen, unter denen Menschen nach Traumata litten, seien es Kriegserfahrungen - bei Soldaten und Zivilisten gleichermaßen - oder andere Erlebnisse wie sexueller Mißbrauch.
    »Sexuell mißbrauchte Kinder, gefolterte Erwachsene und Soldaten mit Kriegstraumata leiden alle unter ähnlichen Problemen: Depressionen, Schlafstörungen, Unfähigkeit, anderen Menschen zu vertrauen oder enge Bindungen einzugehen.«
    »Aber Menschen können auch Depressionen oder Schlafstörungen haben, ohne mißbraucht worden zu sein«, fauchte Praeger. »Wenn jemand mit diesen Symptomen zu mir kommt, gehe ich sehr, sehr vorsichtig an die Ergründung der eigentlichen Ursache heran und behaupte nicht gleich, der Betreffende sei von Hutu-Schlächtern gefoltert worden. Menschen, die Hilfe beim Psychotherapeuten suchen, sind besonders verletzlich und angewiesen auf den anderen. Es ist ausgesprochen leicht, ihnen Dinge einzureden, von denen sie dann felsenfest überzeugt sind. Wir würden gern glauben, daß unsere Erinnerung genau und objektiv ist, aber leider ist es sehr leicht, Erinnerungen von Vorfällen zu schaffen, die sich nie ereignet haben.« Im Anschluß daran faßte er die Forschung über gelenkte -oder geschaffene - Erinnerungen zusammen, die zeigte, wie Menschen eingeredet worden war, daß sie an Märschen und Demonstrationen teilgenommen hatten, obwohl es objektive Beweise dafür gab, daß sie sich zum Zeitpunkt jener Demonstration nicht einmal in der fraglichen Stadt aufgehalten hatten.
    Kurz vor elf führte Beth Blacksin die Diskussion dann zu ihrem Ende. »Solange wir nicht richtig begreifen, wie das menschliche Gehirn arbeitet, wird diese Auseinandersetzung weitergehen. Ich würde Sie nun bitten, Ihre jeweiligen Positionen in dreißig Sekunden zusammenzufassen, bevor wir uns von unseren Zuschauern verabschieden. Ms. Wiell?«
    Rhea Wiell sah mit ernstem Blick in die Kamera. »Oft tun wir die schrecklichen Erinnerungen anderer Leute einfach ab, nicht, weil wir kein Mitleid mit ihnen hätten. Und auch nicht, weil wir keine Opfer sein wollen, sondern weil wir Angst haben, in unser Inneres zu schauen. Wir fürchten uns vor dem, was dort verborgen sein könnte - was wir anderen Menschen angetan haben oder was mit uns selbst geschehen ist. Viel Mut ist nötig, um die Reise in die Vergangenheit anzutreten. Ich würde niemandem empfehlen, auf diese Reise zu gehen, der nicht stark genug ist, sie bis zum Ende durchzustehen. Und keinesfalls lasse ich jemanden diesen gefährlichen Weg allein beschreiten.« Nach diesen Worten klangen Professor Praegers Gegenargumente grausam und herzlos. Wenn die anderen Zuschauer genauso waren wie ich, wünschten sie sich Rhea Wiell zurück, die ihnen sagen sollte, daß sie stark genug waren, um die Reise in die Vergangenheit anzutreten, und gut oder interessant genug, um von ihr dabei begleitet zu werden.
    Als die nächste Werbepause begann, schaltete Morrell den Fernseher aus. Don rieb sich die Hände. »Was die Frau macht, schreit geradezu nach einem Buch, und ich wette, es gibt einen sechsstelligen Vorschuß dafür. Die Leute in Paris und New York werden mich als Helden feiern, wenn ich sie Bertelsmann und Rupert Murdoch wegschnappe. Vorausgesetzt natürlich, das, was sie sagt, stimmt. Was haltet ihr von ihr?«
    »Erinnerst du dich noch an den Schamanen in Escuintla?« fragte Morrell Don. »Der hatte den gleichen Blick wie sie. Als könnte er in die Tiefen deiner Seele schauen.«
    »Ja.« Don schauderte. »Was für eine schreckliche Reise. Wir haben achtzehn Stunden unter einem Schweinestall gewartet, bis die Armee vorbei war. Damals habe ich erkannt, daß es mir mehr Spaß machen würde, mich fest an Envision Press zu binden und Leuten wie dir, Morrell, den Ruhm zu überlassen. Oder so ähnlich. Glaubt ihr, sie ist eine Scharlatanin?«
    Morrell zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nichts über sie. Aber an mangelndem Selbstbewußtsein leidet sie jedenfalls nicht, oder?«
    Ich mußte gähnen. »Ich bin zu müde, um mir eine Meinung zu bilden. Aber morgen früh ist es sicher kein Problem, ein paar Informationen über sie einzuholen.«
    Ich erhob mich steifbeinig. Morrell sagte, er würde sich in ein paar Minuten zu mir gesellen. »Aber bevor Don sich ganz und gar in die Pläne für dieses neue Buch hineinsteigert, möchte ich gern noch ein paar Dinge

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