Ihr wahrer Name
wurde sie zum erstenmal durch das Auftauchen von Paul Radbuka.
Victoria, nach dem Verlust von Teresz hätte ich nie gedacht, daß ich mich noch einmal verlieben könnte. Und schon gar nicht in Lotty. Sie und Carl waren ein Paar gewesen, hatten sich leidenschaftlich geliebt; auch ich wurde die Bilder aus der Vergangenheit nicht los - sie war für mich immer Carls Freundin, trotz ihrer langen Trennung. Aber irgendwie sind wir doch zusammengekommen. Unsere Liebe zur Musik, ihre Leidenschaft, meine Ruhe - wir schienen uns zu ergänzen. Doch jetzt...« Er wußte nicht recht, wie er den Satz beenden sollte. Schließlich sagte er: »Wenn sie nicht bald zurückkehrt, ich meine emotional, verlieren wir uns für immer. Im Augenblick verkrafte ich keine weiteren Verluste unter den Freunden meiner Jugend.«
Er wartete nicht, bis ich etwas erwiderte, sondern drehte sich um und ging ins Haus zurück. Ich fuhr ernüchtert in Richtung Stadt.
Sofie Radbuka. »Wahrscheinlich hätte ich ihr Leben nicht retten können«, hatte Lotty zu mir gesagt. War sie eine Cousine gewesen, die in der Gaskammer gestorben war, eine Cousine, deren Platz im Zug nach London Lotty eingenommen hatte? Ich konnte mir die Schuldgefühle vorstellen, die einen nach so etwas quälten: Ich habe auf ihre Kosten überlebt. Ihre Bemerkung zu Max und Carl über die Selbstfolter.
Ich folgte der gewundenen Straße entlang des Calvary-Friedhofs, dessen Mausoleen Evanston von Chicago trennen, als Don Strzepek anrief. »Vic, wo steckst du denn? « »Ich bin bei den Toten«, sagte ich düster. »Was ist los?«
»Vic, du mußt herkommen. Deine Freundin Dr. Herschel führt sich hier wirklich skandalös auf.« »Wo ist >hier«
»Was meinst du... ach so, ich rufe von Rheas Haus aus an. Sie ist gerade zum Krankenhaus unterwegs.«
»Hat Dr. Herschel sie verprügelt?« Ich versuchte, nicht allzu hoffnungsvoll zu klingen.
»Mein Gott, Vic, hier geht's um 'ne ernste Sache, also mach bitte keine solchen Scherze und hör zu, was ich sage. Weißt du schon, daß heute jemand auf Paul Radbuka geschossen hat? Rhea hat's heute nachmittag erfahren. Sie ist ziemlich durcheinander. Und Dr. ... «
»Ist er tot?« fragte ich.
»Er hat verdammtes Glück gehabt. Einbrecher haben ihn ins Herz geschossen, aber der Chirurg hat Rhea gesagt, die Waffe sei so kleinkalibrig gewesen, daß die Kugel im Herz steckengeblieben ist, ohne ihn zu töten. Offenbar passiert das manchmal.
Es heißt, daß er wahrscheinlich wieder völlig gesund wird. Jedenfalls ist Dr. Herschel irgendwie an Papiere von Paul rangekommen...« Er hielt inne, als ihm der Zusammenhang klar wurde. »Weißt du darüber Bescheid?«
»Die Papiere seines Vaters? Ja. Ich hab' sie mir gerade bei Max Loewenthal angeschaut, und ich weiß, daß Dr. Herschel sie mitgenommen hat.« »Wie ist Loewenthal daran gekommen?«
Ich lenkte den Wagen auf eine Bushaltestelle an der Sheridan Road, damit ich mich auf das Gespräch konzentrieren konnte. »Vielleicht hat Paul sie ihm gebracht, damit Max besser versteht, wieso sie verwandt sind.«
Ich hörte, wie er sich eine Zigarette anzündete und den Rauch inhalierte.
»Nach Aussage von Rhea hat Paul diese Papiere unter Verschluß gehalten. Sie war nie bei ihm zu Hause, aber er hat ihr das Versteck beschrieben. Er hat die Bücher mitgebracht, um sie ihr zu zeigen, doch nicht einmal Rhea, der er wirklich vollkommen vertraut, hat er sie über Nacht überlassen. Ich bezweifle, daß er sie Loewenthal geliehen hätte.«
Ein Bus hielt neben mir; ein aussteigender Fahrgast schlug verärgert auf die Motorhaube meines Wagens. »Gib mir doch die Einzelheiten, falls du sie kennst. Wo ist das passiert? Hat irgendein Patient vom Beth Israel die Schnauze voll gehabt von Posners Demonstrationen und das Feuer eröffnet?«
»Nein, es ist bei ihm zu Hause passiert. Er ist jetzt wegen der Narkose ziemlich benommen, hat aber zu den Leuten von der Polizei und zu Rhea gesagt, daß eine Frau bei ihm vor der Tür stand und mit ihm über seinen Vater... Ziehvater... sprechen wollte.«
Ich fiel ihm ins Wort. »Don, weiß er, wer auf ihn geschossen hat? Kann er die Person beschreiben? Ist er sicher, daß es eine Frau war?«
Er schwieg unsicher. »Nun, im Augenblick ist er ein bißchen verwirrt. Die Betäubung hat zu leichten Halluzinationen geführt. Er sagt, es war eine Frau, Ilse die Wölfin. Die Wölfin der SS. Aber das ist unwesentlich. Wichtiger ist, daß Dr. Herschel Rhea angerufen und ihr erklärt hat, sie
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