Ihr wahrer Name
Sommers-Familie?«
Ich sah ihn mit einem Stirnrunzeln an. »Um beide. Das ist genau das Problem. Ich kann mich auf keins von beiden richtig konzentrieren.«
»Durham ist abgesehen vom Bürgermeister selbst so ziemlich der glatteste Politiker der Stadt. Sei vorsichtig, wie du ihn anpackst. Und sag Lotty schöne Grüße von mir, ja?« Er drückte zum Abschied kurz meine Schulter und ging dann wieder den Flur zurück.
Ich kenne Lotty Herschel seit meiner Studentenzeit an der University of Chicago. Damals war ich ein Arbeitermädchen an einer schnieken Uni und fühlte mich ziemlich fehl am Platz. Ich lernte sie bei einer Gruppe von Abtreibungsbefürwortern im Untergrund kennen, denen ich freiwillig Hilfe leistete und sie medizinische Ratschläge gab. Sie nahm mich unter ihre Fittiche und verlieh mir jenen gesellschaftlichen Schliff, den ich mit dem Tod meiner Mutter verloren hatte. Sie hielt mich davon ab, meinen Weg in jener Zeit der Drogen und gewalttätigen Demonstrationen aus den Augen zu verlieren, indem sie sich trotz ihres vollgepackten Tagesplans die Zeit nahm, sich zusammen mit mir über meine Erfolge zu freuen und mich bei Mißerfolgen zu trösten. Sie ging sogar zu ein paar College-Basketballmatches, um mich spielen zu sehen - das war ein echter Akt der Freundschaft, denn Sport in jeder Form langweilt sie.
Aber nur durch mein Sportstipendium wurde mein Studium möglich, also unterstützte sie mich dabei, so gut sie konnte. Wenn ihr jetzt etwas Schreckliches zustieße... Der Gedanke war mir unerträglich.
Erst vor kurzem war sie in ein Hochhaus am See gezogen, in eines jener schönen alten Gebäude, von denen aus man die Sonne über dem Lake, dem Lake Shore Drive und einem Park aufgehen sehen konnte. Früher hatte sie in einer Zweizimmerwohnung nicht weit von ihrer Klinik entfernt gelebt; ihr einziges Zugeständnis ans Alter war es, daß sie nicht mehr in einer Gegend voller Drogendealer und Einbrecher leben wollte. Max und ich waren erleichtert gewesen, daß sie sich für ein Haus mit Tiefgarage entschieden hatte.
Als ich dem Pförtner meine Wagenschlüssel gab, war es erst acht, aber mir kam es vor, als wäre es schon weit nach Mitternacht.
Lotty wartete bereits im Flur auf mich, als ich aus dem Aufzug trat. Sie gab sich größte Mühe, ruhig zu wirken. Obwohl ich ihr sofort den Umschlag mit dem Video und den Fotos hinhielt, riß sie ihn mir nicht aus der Hand, sondern bat mich in ihr Wohnzimmer und bot mir einen Drink an. Als ich sagte, ich wolle nur ein Wasser, schenkte sie dem Umschlag noch immer keine Beachtung und versuchte sogar zu scherzen, ich müsse krank sein, wenn ich Wasser wolle und keinen Whisky. Ich lächelte, aber die dunklen Ringe unter ihren dunklen Augen beunruhigten mich. Ich sagte nichts darüber. Als sie sich auf den Weg in die Küche machte, fragte ich sie, ob sie mir ein bißchen Obst oder Käse mitbringen könne.
Nun schien sie mich zum erstenmal richtig anzuschauen. »Du hast also noch nichts gegessen? Ich seh' dir an, daß du erschöpft bist. Bleib sitzen; ich richte dir was her.«
Das war schon eher die alte resolute Lotty. Ein wenig beruhigt lehnte ich mich auf dem Sofa zurück und döste, bis sie mit einem Tablett zurückkam: kaltes Hühnchen, Karottensticks, ein kleiner Salat und dazu ein paar Scheiben des dicken Brotes, das eine ukrainische Schwester im Krankenhaus für sie backt. Ich versuchte, mich nicht über das Essen herzumachen wie meine Hunde. Während ich aß, beobachtete mich Lotty, als müsse sie sich sehr zurückhalten, die ganze Zeit den Umschlag anzustarren. Dabei stellte sie mir im Plauderton Fragen: ob ich beschlossen habe, am Wochenende mit Morrell wegzufahren, und ob wir am Sonntag nachmittag zum Konzert wieder zurück seien? Max erwarte hinterher bei sich zu Hause vierzig oder fünfzig Leute zum Essen, aber er und besonders Calia wären sehr traurig, wenn ich nicht käme.
Irgendwann unterbrach ich sie. »Lotty, schaust du dir die Bilder nicht an, weil du Angst vor dem hast, was du darauf sehen könntest, oder vor dem, was du nicht darauf siehst?« Sie schenkte mir ein mattes Lächeln. »Du hast die Situation ziemlich genau erfaßt, meine Liebe. Wahrscheinlich ist es von beidem ein bißchen. Aber ich denke, ich wäre jetzt bereit, das Band anzuschauen, wenn du es mir vorspielst. Max hat mich schon gewarnt, daß der Mann nicht sonderlich sympathisch ist.«
Wir gingen in das hintere Zimmer, in dem sich ihr Fernseher befand, und steckten das Tape in den
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